41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
Pricard würde nach der Hausdurchsuchung bei Louise die Genehmigung zu seiner Dienstreise nach Marseille unverzüglich ausstellen, da war Marcel sich sicher. Damit hätte er ihn zumindest ein paar Stunden aus der unmittelbaren Schusslinie.
Pricard griff zum Telefon, um die routinierte Maschinerie des Polizeiapparates in Gang zu setzen. Sein erster Anruf galt Louise.
Louise
Das alte Telefon in der Diele schrillte penetrant. Louise konnte es sogar trotz des Prasselns der Dusche hören und beschloss, es vorerst zu ignorieren, obwohl ein Anruf um diese frühe Tageszeit an einem Montag vermutlich ein Notfall und kein Irrtum war. Das Telefon verstummte nach einiger Zeit, nur um kurz darauf von Neuem mit seinem nervtötenden Geklingel zu beginnen. Louise stieg stöhnend aus der Dusche, wickelte sich in ein weiches Badetuch und tappte barfuß zu dem antiken Telefontischchen im Vorraum.
„Ja, bitte?“, seufzte sie in den klobigen, schwarzen Hörer.
„Louise, in ungefähr zwei Stunden kommen sie! Sie machen eine Hausdurchsuchung! Ich kann es nicht verhindern. Ich zögere meinen Einsatzbefehl hinaus, damit du dich vorbereiten kannst. DNA und Telefon bleiben verschont! Beeile dich!“ Pricard klang hysterisch, gehetzt und er war hörbar völlig aus der Fassung. Seine Nerven lagen blank.
„Beruhige dich, mein Lieber! Sie können gerne kommen. Ich habe nichts zu verbergen. Kein mikroskopisch noch so kleines Teilchen wird einen Fingerzeig in deine Richtung geben, sei unbesorgt! Womit also soll ich mich beeilen?“ Louise erheiterte Pricards Nervosität mehr, als dass sie die bevorstehende Invasion der Polizeimannschaft beunruhigte.
„Ich muss aufhören. Niemand darf wissen, dass ich dich gewarnt habe! Hörst du, zu niemandem ein Wort! Versprich es! Ich melde mich!“ Er legte unvermittelt auf, ohne eine Antwort abzuwarten.
Louise schüttelte lachend den Kopf. Wem sollte sie denn von seiner Warnung erzählen? Dem Ermittlungsleiter vielleicht? Der einzige Risikofaktor in dieser Sache war er selbst. Seine einfältige Angst, jemand könnte seine Verbindung zu Louise aufdecken, war völlig lächerlich. Alle wussten es, niemand interessierte sich ernsthaft dafür. Nur Pricard selbst glaubte noch an seinen unantastbaren, ehrenhaften Heiligenschein, seine blütenweiße Weste und tadellosen Ruf.
Louise hatte in Marcels Augen gelesen, dass er noch nicht fertig war mit ihr, daher kam dieser kleine Überfall auch nicht überraschend. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, mit welcher Taktik Marcel versuchen würde, sie zu überlisten. Natürlich waren ihm die Hände gebunden; Pricard würde mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern wissen, dass er durch ein vereinzeltes Schamhaar vielleicht als Besucher Louises identifiziert werden könnte. Oder durch seinen idiotischen Anruf eben.
Louise frühstückte in aller Gelassenheit, ließ ihr Bett ungemacht, die Küche unaufgeräumt und zog sich ihr Arbeitsshirt, ausgebeulte Jogginghosen und mit Tonklecksen verkrustete Socken an. Sie band ihr Haar zusammen, legte kein Makeup auf und ihre Chirurgenhandschuhe bereit. Kurz dachte sie daran, ihren Laptop in Alettes Wohnung zu bringen, entschied sich aber dann dagegen, weil sie es aufregender fand, Marcel danach suchen zu lassen. Würde er ihn finden, wären ihre Pläne zunichte gemacht und sie würde ihre Strafe antreten. Würde er ihn nicht finden, wäre dies die ausgleichende Gerechtigkeit für ihr armseliges Leben und sie könnte stattdessen ihre Reise ins Paradies antreten.
Louise betrat ihre Töpferkammer und suchte die hässlichsten ihrer Gefäße aus den Regalen. Sie stellte die schadhaften oder unförmigen Schalen und Krüge auf die Gitterroste in den Brennofen und schaltete ihn auf höchster Stufe ein. Sicherheitshalber schüttelte sie den Staubsaugerbeutel noch fest über der Badewanne aus und spülte den feinen Staub in den Abfluss. Ihr Appartement war dank einer fleißigen Putzhilfe stets gereinigt, Bettwäsche und Handtücher wurden jeden dritten Tag gewechselt, im Gästezimmer und in der Folterkammer natürlich unverzüglich nach jedem Besuch. In ihren Fenstern spiegelten sich keine Schlieren, in den Wandecken gab es keine Spinnweben, unter den Sofas keine Flusen und die Küche war – gelobt seien Martas Kochkünste – beinahe steril. Es war also nichts mehr zu tun, daher bereitete sich Louise ihren zweiten Kaffee, nahm ihn mit in die Töpferstube, zog sich die Latexhandschuhe über und setzte sich mit
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