41 Rue Loubert: Kriminalroman (German Edition)
sie sind sehr teuer und die Confiserie hält sie auch nicht ständig auf Lager. Eine Kostprobe?“ Sie fischte nach einem Bonbon und hielt Marcel einladend die Schachtel entgegen.
Widerstrebend nahm er sich ein Bonbon, wickelte es aus und ließ die bittersüße, weiche Schokoladenmasse in seinem Mund zergehen. Es schmeckte tatsächlich hervorragend. Louise verdrehte mit einem begeisterten „Mmmm“ die Augen und verteilte die Bonbons gleichmäßig unter die silbernen in der Schale im Gästezimmer.
Sie würde zwei davon später präparieren, wenn Marcel die Aussichtslosigkeit seiner heutigen Bemühungen eingesehen und endlich das Feld geräumt hatte.
Marcel
Marcel hatte Louise ohne weitere Erklärungen verlassen und war auf direktem Weg in die Polizeipräfektur zurückgefahren. Dort hatte er seinen mageren Bericht über die Hausdurchsuchung geschrieben. Mager deshalb, weil er keinen erfolgreichen Durchbruch vorzuweisen hatte. Danach hatte er umgehend seinen Antrag auf die Dienstreise nach Marseille ausgefüllt und nun saß er damit im Büro des Polizeipräsidenten, um einerseits seinen Misserfolg einzugestehen und andererseits seine Reise genehmigen zu lassen.
Er betrachtete Pricard nachdenklich und war davon überzeugt, dass dieser Louise vorgewarnt hatte. Louise war nicht dumm und hatte sie alle in dem Glauben lassen wollen, sie wäre von dem Polizeiaufgebot unvermutet überrascht worden. Die saubere, aber unaufgeräumte Wohnung, ihr unmöglicher Töpferaufzug sowie keine benutzten Gläser, hastig versteckten Kondome oder verdächtige Papiertaschentücher sprachen für seine Theorie.
Pricard seinerseits beobachtete Marcel aufmerksam und empfand tiefstes Verständnis für dessen spürbare Verzweiflung. Er selbst war in seinen Jugendjahren mehrere Male Opfer von Vertuschung in den höchsten Rängen gewesen. Er überflog Marcels armselige Zusammenfassung, unterzeichnete ohne Rückfragen oder Kommentare den Antrag auf die Dienstreise nach Marseille und reichte ihn über den Tisch hinweg Marcel.
Marcel räusperte sich: „Vielen Dank.“
„Sie werden auch in Marseille nicht finden, wonach Sie suchen.“
„Wir werden sehen“, erwiderte Marcel.
Pricard legte seine Hände auf den Tisch und drehte gedankenverloren seinen goldenen Füller zwischen den Fingern.
„Lassen Sie sie in Ruhe“, sagte er leise.
„Ist das eine Drohung oder eine Bitte?“, fragte Marcel ebenso leise.
Der oberste Präfekt der Polizei von Paris blickte auf und sah Marcel direkt in die Augen.
„Eine Empfehlung, Marcel. Nur eine Empfehlung.“
Louise
Marcel hatte das Treppenhaus noch nicht verlassen, als Louise rasch einige goldene Schokoladenbonbons aus der einladenden Keramikschale im Gästezimmer entfernte und in den kaputten Toaster in der Küche fallen ließ, in dessen Inneren eine Einwegspritze, ein Dutzend steril verpackte Injektionsnadeln sowie gut hundert Stück hochdosierter Schlaftabletten auf ihren Einsatz warteten.
Sie alarmierte ihre Putzhilfe und bat sie, noch an diesem Tag ihr Appartement gründlichst von allen Spuren, Fasern und Gerüchen zu befreien, die die Polizeitruppe hinterlassen hatte. Bis zum Eintreffen der Reinigungsfrau war Louise in gewohnter Eleganz zum Ausgehen bereit.
Sie rief ein Taxi und ließ sich zur Filiale der Credit Suisse bringen. Bei einem jungen Schalterbeamten forderte sie die Auflösung ihres Kontos ein und verlangte, den gesamten Betrag in bar ausbezahlt zu bekommen. Da es sich um eine außergewöhnlich hohe Summe handelte, war der junge Angestellte verpflichtet, den Bankdirektor persönlich zu dieser heiklen Transaktion hinzuzuziehen. Dieser äußerte seine Besorgnis über eventuelle Unzufriedenheiten seitens Louises, welche sie mühelos zerstreuen konnte.
„Ach, mein Lieber, wie lange kennen Sie mich nun schon? Keinesfalls habe ich Klagen über Ihr Institut, im Gegenteil, nirgendwo anders hätte ich mich je so gut und diskret betreut gefühlt wie bei Ihnen!“ Charmant blinzelte sie ihm zu, bevor sich ein schmerzvoller Ausdruck über ihr Gesicht zog.
„Leider macht es ein schwerer Pflegefall in meiner Familie nötig, dass ich mein Geld in einen Hausumbau in Frankfurt investieren muss. Treppenlift, verbreitertes Badezimmer, behindertengerechtes Krankenbett, elektrischer Rollstuhl, unendlich viele therapeutische Hilfsmittel … das alles verschlingt Unsummen, glauben Sie mir.“
Der Bankdirektor erging sich ob dieses tragischen Schicksales in betroffene Mitleidsbekundungen, bot noch
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