42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Seufzer stahl – der Verführer merkte, daß er gesiegt hatte. Er drückte sie inniger und wärmer an sich; er gab ihr Kuß auf Kuß, und sie blieb dabei willen- und bewegungslos, sich ganz den Gefühlen überlassend, welche seine heißen Liebkosungen in ihr erweckten. Sie fühlte, daß sie ihn liebe, daß er von jetzt an ihr Herr und Gebieter sei.
„Nun, meine süße Taube, wie gefällt dir die Liebe, die du bisher noch nicht gekannt hast?“ fragte er endlich, als er sich von Küssen einstweilen gesättigt fühlte.
„O Señor, ich träume!“ antwortete sie leise.
„Nein, es ist Wirklichkeit. Wünschest du nicht, daß es immer so bleiben möge, Zarba?“
„Ja“, hauchte sie verschämt.
„Nun, das kommt nur auf dich an. Wenn du tust, um was ich dich bitte, so werden wir immer so glücklich sein.“
„Was soll ich tun, Señor?“
„Das laß uns überlegen! Wie lange seid ihr bereits in Saragossa?“
„Eine Woche.“
„Und wie lange werdet ihr hier bleiben?“
„Abermals eine Woche.“
„Wie viele Familien seid ihr?“
„Vier Familien und zwanzig Personen.“
„Hast du den Vater dabei?“
„Ja.“
„Und die Mutter?“
„Ja.“
„Auch andere Verwandte?“
„Nein.“
„Wie heißt dein Vater?“
„Jarko.“
„Und deine Mutter?“
„Kaschima.“
„Haben dich beide lieb?“
„O sehr! Und auch der Stamm und alle Gitanos Spaniens haben mich lieb, denn ich werde einst ihre Königin sein.“
„Alle Teufel!“ meinte er überrascht. „Gibt es bei euch auch Könige?“
„Nein, sondern nur Königinnen.“
„Wer ist die jetzige?“
„Kaschima, meine Mutter.“
„Aber ihr seid ja arm!“
„Ihr denkt, man kann nicht zugleich arm und auch Königin sein? O Señor, Ihr kennt die Gitanos nicht! Sie scheinen arm und sind reich; sie scheinen verachtet und sind stolz. Es besitzt gar mancher Fürst nicht die ungeheure Macht, welche unsere Königin über den Stamm ausübt.“
„Welche sind die Gebräuche, wenn eine neue Königin antritt?“
„Das darf ich nicht sagen, Señor.“
„So? Na, da muß ich mich zufriedengeben mit dem Glück, daß ich eine Prinzessin hier in meinen Armen halte, eine Prinzessin, die ich unendlich lieb habe und die auch mich ein wenig liebt. Nicht?“
„O nicht ein wenig, sondern sehr!“ antwortete sie.
„Darfst du vor deinem Vater und deiner Mutter mich liebhaben, Zarba?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Ich soll nur einem Gitano angehören, keinem andern.“
„O weh, das ist traurig! Wirst du ihnen gehorchen?“
Sie senkte den Kopf und antwortete nicht. Es war zum ersten Mal, daß ein solcher Zwiespalt ihr Herz zerriß. Cortejo begriff recht gut, daß ihre Liebe jetzt noch zu jung sei, um ein allzu hartes Opfer von ihr zu erwarten; daher drang er für jetzt nicht weiter in sie, sondern fragte:
„Darf ich dich in dieser Woche wiedersehen?“
„Ja“, antwortete sie.
„Wann und wo?“
„Wann und wo Ihr es wünschet.“
„Darfst du denn von den Deinen gehen und kommen, wann und wie es dir beliebt?“
„Es wird niemand zanken oder mir etwas sagen. Es beleidigt oder kränkt mich keiner.“
„So versprich mir, eine Bitte zu erfüllen!“
„Welche?“
„Versprich es mir vorher.“
„Kann ich?“
„Ja.“
„Ich werde sie erfüllen.“
„Gut. Besuche mich in meiner Wohnung!“
Er hatte Widerstand erwartet und fühlte sich daher höchst angenehm berührt, als sie freudig in die Hände schlug und beistimmend erklärte:
„Ich komme, Señor; o ich komme gern, denn ich habe noch niemals die Wohnung eines so vornehmen Herrn gesehen. Wo wohnt Ihr?“
„In der Strada Domenica, in dem großen Haus, Nummer 10.“
„Und wann soll ich kommen?“
„Wenn die Dämmerung angebrochen ist. Aber eins muß ich dir sagen: Ich wünsche nicht, daß du gesehen wirst.“
„Warum?“ fragte sie in ihrer Unschuld. „Schämt Ihr Euch vielleicht meines Besuches?“
„Nein“, log er ihr vor; „aber in unserem Haus darf niemand einen Besuch empfangen, mein Herz.“
„Aber wie soll ich es da machen?“
„Du gehst an der Ecke des Hauses hinab und wirst an eine lange Gartenmauer kommen.“
„Ja.“
„In dieser Mauer befindet sich ein kleines Pförtchen; dahinter stehe ich. Du klopfest und ich werde dir öffnen.“
Sie nickte mit dem Kopf und fragte:
„Werde ich das Pförtchen auch leicht finden?“
„Sehr leicht. Wie lange wirst du bei mir bleiben können?“
„Solange es mir gefällt. Ich gehe oft des Abends oder des
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