42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
denselben. Er befand sich des ganzen Tages in einer sehr gehobenen Stimmung, welche noch dadurch erhöht wurde, daß der Herzog anstatt sechzig Duros eine bedeutendere Summe notiert hatte. Am Nachmittag trug er in eigener Person die Annonce fort und benutzte diesen Ausgang, um Clarissa mit zu besuchen. Sie empfing ihn schmollend.
„Du kamst ja nicht!“ klagte sie.
„Ich konnte nicht, Herz.“
„Oh; für eine Viertelstunde hättest du gekonnt.“
„Nicht für eine Minute.“
„Ich habe alle diese Zeit auf dich gewartet und konnte also das Zimmer nicht verlassen. So bin ich um den ersten Tag des Karnevals gekommen. Aber ich hoffe, daß du heute mit mir ausgehen wirst!“
„Das wird leider auch nicht gehen.“
„Nicht?“ fragte sie enttäuscht. „Ah, ich sehe nun, woran ich bin. Du liebst mich nicht mehr. Ich habe, um dir zu folgen, mein Asyl und meine Verwandten verlassen; ich habe dir meine Ehre geopfert und lebe mit dir, als ob ich dein Weib sei. Und nun ich auf diese Weise die Brücke hinter mir abgebrochen habe, willst du nichts mehr von mir wissen. Geh fort! Du hast mich getäuscht; du hast mich betrogen!“
Cortejo war in Beziehung auf dieses Mädchen ein psychologisches Rätsel. Er liebte sie wirklich; er gedachte, sie zu seinem Weib zu machen; er lebte mit ihr im Konkubinat, aber sein Herz hatte doch noch Platz genug für andere, welche ihn für den Augenblick fesselten. Er war gewissenlos genug, ein Mädchen zu betrügen, welches ihm alles geopfert hatte, besaß aber doch so viel Zuneigung zu ihr, sie nicht ganz fallenzulassen.
Er trat jetzt zu ihr an das Fenster, wohin sie sich schmollend zurückgezogen hatte, legte den Arm um ihre üppige Taille und sagte:
„Sei nicht unverständig, Clarissa.“
„Bin ich unverständig, wenn es mich betrübt, daß du gegen mich mit deiner Liebe geizt?“
„Du irrst! Ich geize nicht, aber ich habe noch anderes zu tun, als nur an die Tändelei des Verliebten zu denken. Du kennst die Aufgabe, welche wir uns gestellt haben: reich werden, um dich in anständiger Weise deinen Verwandten zurückzubringen, welche gar nicht wissen, wo du bist. Dieses Ziel verfolge ich, und gestern habe ich einen großen Schritt dahin zurückgelegt, heute und morgen werde ich den zweiten und dritten tun, und wenn ich mich nicht ganz und gar irre, so wird keine sehr lange Zeit vergehen, bis wir da anlangen, wohin wir wollen. Also ist es unverständig von dir, zu schmollen.“
„Darf man denn etwas über diese berühmten Schritte erfahren?“
„Ja, ich will aufrichtig sein mit dir, vorausgesetzt, daß du das, was ich tue, nicht falsch deutest.“
„Du kennst mich, als prüde wirst du mich nicht bezeichnen wollen.“
„Nein. Also höre. Du weißt, daß der Herzog von Olsunna einer der Mächtigsten des Reiches ist?“
„Sein Vater war sogar der Mächtigste; er regierte die Königin.“
„Und du siehst also ein, daß mir sein Wohlwollen, seine Protektion von außerordentlichem Nutzen sein können.“
„Das ist sehr leicht einzusehen.“
„Daher gebe ich mir alle Mühe, sein Vertrauen zu erwerben.“
„Und du bist ein schlauer Bursche. Es ist dir gelungen.“
„Oh, besser und mehr, als du denkst. Das Geheimnis eines Menschen, einen anderen zu beherrschen, besteht darin, daß man seine Fehler und Schwächen ergründet, ihnen schmeichelt, ihn darin bestärkt und sich zum Werkzeug für die Befriedigung dieser Schwächen macht.“
„Ah, hast du das bei mir auch getan?“
„Nein. Gegen dich war ich ehrlich und werde auch ehrlich bleiben.“
„Nun, welches sind denn die Fehler des Herzogs?“
„Seine größte Schwäche besteht in seiner Liebe zum weiblichen Geschlecht. Seine hohe Stellung nur erlaubt ihm nicht, diese Leidenschaft merken zu lassen, er muß vorsichtig sein und bedarf eines Vertrauten, auf den er sich verlassen kann.“
„Und dieser bist du?“
„Dieser bin ich“, nickte Cortejo. „Du hast gestern den Beweis davon gesehen. Wenn der Herzog mit mir den Karneval besucht, so ist dies ein sicheres Zeichen, daß ich sein Meister bin. Nun hat sich alles, was er mit meinem Wissen unternommen hat, auf dem Gebiet des gesetzlich Erlaubten bewegt; will ich ihn aber in meine Gewalt bekommen, so muß er etwas tun, was unerlaubt, was ein Vergehen oder ein Verbrechen ist; erst dann habe ich ihn vollständig fest.“
„Gasparino, ich glaube, du bist ein Teufel!“ lächelte sie, stolz auf den Geliebten.
„Pah, wir sind alle mehr oder weniger Teufel. Es
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