42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
verraten!“
„Was hätte dies geschadet!“ grollte Alfonzo. „Welche Wonne, die Gesichter dieser Menschen zu sehen, wenn sie erfahren hätten, daß der Kerl ein Räuber ist.“
„Und welche Wonne, wenn er ihnen dann gesagt hätte, daß er an deine Stelle gehört. Er ahnt dies nicht bloß, sondern er weiß es sogar und scheint nur noch entdecken zu wollen, welcher Abstammung du bist. Ich werde dafür sorgen, daß er uns nicht mehr belästigen kann.“
„Und dieser Mensch, der Arzt!“ zürnte Schwester Clarissa. „Trat er nicht auf, als ob er Herr von Rodriganda sei. Ja, diese Sünder gehen in der Welt umher wie brüllende Löwen und suchen, wen sie verschlingen. Aber der Gerechte wird seines Glaubens leben und sie alle besiegen.“
„Wie er dafür sorgte, daß keine Störung eintreten kann“, grollte der Notar. „Und doch, dennoch soll die Heilung gestört werden. Er hat selbst gesagt, daß eine jede Aufregung dem Kranken schädlich werden könne. Oh, wir werden bemüht sein, eine Aufregung hervorzubringen, die groß genug ist, die Operation wieder auszugleichen.“
Während im Salon diese feindseligen Worte fielen, trat der Arzt mit den beiden Damen bei dem Grafen ein. Er postierte zwei Diener vor die Tür des Vorzimmers und verschloß dasselbe dann. Der Graf hatte ihn bereits erwartet und erwiderte seinen Gruß mit Freundlichkeit.
„Wen bringen Sie mir mit, Señor?“ fragte er, als er den leisen Schritt der Damen hörte.
„Ich bringe Ihnen Contezza Rosa und Miß Amy Lindsay, auf deren zarte Hände ich mich mehr verlassen kann als auf andere Hilfe.“
„Ich danke Ihnen, Doktor! Sie sind meinem Herzenswunsch entgegengekommen. Wo ist mein Sohn?“
„Er befindet sich im Salon und läßt sich entschuldigen. Ich mußte mir seine Begleitung verbitten.“
„Werden die Damen standhaft genug sein, Señor?“
„Ich glaube, Sie darüber beruhigen zu können, Don Emanuel. Diese Operation ist keine Amputation, welche die Nerven des Zuschauers beängstigt. Die Damen haben mir nur kleine Handreichungen zu leisten. Gestatten Sie mir aber die Frage, in welcher Stimmung Sie sich befinden.“
Über das Gesicht des Grafen ging ein helles, vertrauensvolles Lächeln, und er antwortete, indem er die Hände faltete:
„Ich bin mit mir und meinem Gott zu Rat gegangen und lege mein Auge ohne Zagen in Ihre Hände. Der Schlaf bemächtigt sich des Körpers; aber der Geist beschäftigt sich im Traum mit allem, was man im Wachen fühlt, denkt und tut. Es träumte mir, daß Sie mir die Augen öffneten. Ich sah die schöne Gotteswelt; ich erblickte das Angesicht meines guten Kindes; ich sah auch Sie und den Lieutenant – aber“, setzte er seufzend hinzu, „ich sah nicht meinen Sohn, sondern einen Fremden, dessen Angesicht und Rede ich nicht verstand. Was haben Sie da? Ich höre es klirren.“
„Es sind meine Instrumente.“
„Darf ich sie befühlen?“
„Ich gehöre nicht zu den Ärzten, welche den Patienten stets für schwächer halten, als er ist. Sie dürfen diese Instrumente getrost kennenlernen, bevor ich sie anwende.“
Er reichte dem Grafen die Werkzeuge einzeln entgegen. Dieser betastete nacheinander Augenspiegel, Nadeln, Messer, Schnepper, Augenhalter, Liderhaken, Scheren, Pinzetten, Linsenkapselöffner, Presser, Löffel, Sonden, Bistouris und Skalpelle, Spritzen, Troicars, Augenwannen, Koreonkions, Kompressorien, Röhren und Perforatorien. Dann sagte er ruhig:
„Diese Instrumente erschrecken mich nicht. Sie sind Gehilfen Ihres Geistes und Ihrer Geschicklichkeit, die ich liebhaben muß und denen ich mich gern anvertraue. Wann können wir beginnen?“
„Sogleich. Doch erlauben Sie mir vorher eine Probe!“
Er zog sich ein Haar aus dem Kopf und hielt es gegen die silberweiße Tapete des Gemachs, um zu sehen, ob seine Hand fest sei oder zittere. Das Experiment hatte ein befriedigendes Resultat, und darum gab er dem Ruhebett, welches der Graf einnehmen sollte, die richtige Lage, legte sich die Instrumente handlich zurecht und erklärte den Damen, worin die Hilfeleistungen bestanden, die er von ihnen erwartete. Als er sich dann nochmals überzeugt hatte, daß nicht das Geringste vergessen sei, trat er an das Fenster und richtete seine Augen hinauf zum Himmelsblau. Er sagte kein hörbares Wort; seine Lippen bewegten sich nicht, aber dennoch stieg es den beiden Mädchen siedend heiß aus dem Herzen in die Augen herauf, und Rosa umarmte leise den Vater und flüsterte ihm zu, während einige schwere
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