42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
Tränentropfen aus ihrem Auge auf seine Wangen fielen:
„Vater, er betet.“
„Ich ahnte es“, antwortete er ebenso leise. „Er wird mich retten oder keiner!“
Außer den drei Verschworenen gab es in diesem Augenblick wohl keinen Menschen im Schloß, welcher nicht aus tiefstem Herzensgrund gebetet hätte, daß das schwere Werk gelingen möge.
Auch der Lieutenant, welcher mit leisen Schritten unter den Fenstern promenierte, hatte unwillkürlich die Hände gefaltet.
„Herr, mein Gott“, flüsterte er inbrünstig, „sei barmherzig und höre auch den Räuber an! Gib dem Kranken den Anblick des Sonnenlichtes wieder, und ich will dich preisen in alle Ewigkeit. Amen!“
Eine halbe Stunde war bereits vergangen seit Mariano sich auf seinem Posten befand; da trat der junge Graf aus dem Portal. Er hatte sich zur Jagd gerüstet und führte zwei Hunde an der Leine. Die Diener schüttelten die Köpfe, daß dieser Mann es über sein Herz brachte, auf die Jagd zu gehen, während das Schicksal seines Vaters entschieden wurde.
Eben als er in der Nähe des Lieutenants vorüberging, erblickte er auf dem Gipfel eines Baumes eine Krähe. Rasch riß er das Doppelgewehr von der Schulter und legte an.
„Ein schönes Ziel! Paßt auf den Vogel, Pluto, Pollux! Apporte!“
Er wollte losdrücken, kam aber nicht dazu.
„Schurke!“ klang eine Stimme in sein Ohr. Weiter hörte er nichts, sondern es brauste und rauschte um ihn; es wurde ihm blutrot vor den Augen, und der Atem verging.
Mariano war herbeigesprungen, hatte ihm die Hand um die Gurgel gelegt und mit der anderen das Gewehr ergriffen. Unter dem gewaltigen Druck der Faust des Jünglings sank der junge Graf laut- und leblos zu Boden. Nicht einmal die beiden Hunde hatten eine Bewegung zu seiner Verteidigung unternommen; er war sogar den Tieren verhaßt und zuwider.
Einige der Diener hatten es gesehen und kamen herbei. Unter ihnen befand sich auch der Kastellan.
„O heilige Madonna, er wollte schießen!“ wehklagte der brave Alimpo. „Er wollte den Señor Doktor stören! Das sagt auch meine Elvira! Was sollen wir mit ihm tun?“
„Nichts“, antwortete der Lieutenant. „Wenn Ihr Euch an ihm vergreift, so wird er sich an Euch rächen!“
„So ist er noch nicht ganz tot?“
„Nein. Es fehlt ihm nur der Atem.“
„Ah, wenn er tot wäre – ah – ah – das wäre – das wäre jammerschade um den jungen Herrn!“
Man sah es dem guten Kastellan an, daß er eigentlich das Gegenteil hatte sagen wollen.
„Bekümmert Euch nicht um ihn. Ich werde ihn dahin bringen, wo er nicht schaden kann.“
Der Lieutenant hob Alfonzo auf, trug ihn in das Schloß, stieg eine Treppe hinab, legte ihn in eines der dort befindlichen Kellergewölbe, welches er verschloß, zog den Schlüssel ab und begab sich wieder auf seinen Posten.
Nur wenige Augenblicke später wurde die Kastellanin zur Contezza in die Zimmer des Grafen beordert. Als sie die Krankenstube mit unhörbaren Schritten betrat, saß der Graf in einem tiefen Polsterstuhl, und der Arzt war beschäftigt, ihm die Binde zurechtzurücken.
„Nun alles verhängen“, sagte der letztere. „Ich brauchte bisher das Licht; jetzt aber müssen sogar die hellen Wände verdeckt werden – aber ohne Geräusch, bitte ich!“
Es herrschte noch der eigentümliche Geruch des Chloroforms in dem Raum. Das Gesicht des Grafen war, soweit man es sehen konnte, leichenblaß, seine Stimme klang leise zwar, aber doch fest, als er fragte:
„Doktor, werden Sie aufrichtig sein?“
„Ja, Don Emanuel“, antwortete Sternau, indem seine Augen leuchteten.
„Ist – ist es – ist es gelungen?“
„Werden Sie stark genug sein, die Wahrheit zu hören?“
„Ja, Señor. Aber Ihre Frage sagt mir bereits, daß ich nichts zu hoffen habe!“
„Nein, Don Emanuel, das sagt sie nicht; aber auch die Freude ist schädlich!“
„O mein Gott, also darf ich hoffen?“
„Hm, ja.“
„Ein wenig?“
„Ganz nachdem Sie sich verhalten, gar nichts, ein wenig oder auch sehr viel. Ich bitte Sie, recht ruhig zu sein. Morgen werde ich mehr sagen können.“
Der Graf seufzte leise. Aber Rosa faßte die Hand des Arztes und flüsterte, dem Vater unhörbar:
„Bitte, mir gegenüber aufrichtig zu sein!“
Da leuchtete es wie eine hohe, stolze Freude aus dem männlich schönen Angesicht des Arztes; seine Brust hob sich unter einem tiefen, erlösenden Atemzug, und er antwortete, ebenso flüsternd:
„Es ist gelungen!“
„O mein Gott, er wird sehen
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