43 Gründe, warum es AUS ist
perfekt machte, das damit zu tun hatte, dass du dir Gedanken über mich gemacht hattest, dass du dich an diesen Park erinnert und mich vor Mathe abgefangen hattest, um mich zu überreden, die Stunde zu schwänzen und mir etwas anzusehen, wovon ich begeistert sein würde, davon warst du überzeugt – auch das war einmal.
Aber die hier sind noch da, Ed. Sieh sie dir an, die einmal so leicht waren und mir jetzt so schwer auf dem Herzen liegen, wenn ich die Dose öffne und sie schüttle mit diesen Händen, die schon wehtun vom vielen Schreiben. Unauslöschlich sind sie geworden, Ed, weil alles andere verschwunden ist. Also nimm du sie nun. Behalte sie, vielleicht geht es mir ja dann besser.
In Urteil unter Tränen gibt es diese Szene, in der Karl Braughton als Staatsanwalt den Rosenstrauß hinunterwirft und die Kamera ganz, ganz langsam erst an den Blüten und dann an den Stängeln entlangfährt, an Blättern und Dornen, bis hinunter zum Band, das die Rosen zusammenhält – angeblich blassblau, aber es ist ein Schwarz-Weiß-Film –, und der Strauß fällt von den Bücherstapeln auf dem Schreibtisch des Anwalts aufs Parkett und rutscht von dort ganz, ganz langsam bis zum Zeugenstand. Während dies geschieht, hören wir die ganze Zeit die sich vor Empörung überschlagende, hysterische Stimme von Amelia Hardwick, die anklagt, die sich rechtfertigt, bis schließlich das Auge der Kamera auf das Gesicht der Frau gerichtet ist, und auf einmal sehen wir die Scham, die entsetzliche tiefe Scham im Moment, als sie erkennt, dass es wahr sein muss: Sie ist tatsächlich eine Mörderin. Sie war an jenem stillen Nachmittag in der Laube. Ihr Gedächtnisverlust ist real, nicht Teil eines abgekarteten Spiels ihrer Schwiegermutter. Und dann, als ihr klar wird, was dieses Beweismaterial bedeutet, da bricht sie in den hilflosen Schrei aus, mit dem der Film endet, und dieser Schrei ist wie ein fallender Vorhang.
Was Vollidioten III angeht, leide ich an totalem Gedächtnisverlust. Wenn Karl Braughton, wie üblich die Finger hinter die Hosenträger geklemmt, zu mir sagte: »Min Green, können Sie schwören, dass Sie keine einzige Szene der Filmreihe Vollidioten gesehen haben?«, dann würde ich zuerst in die ernsten Gesichter der Geschworenen blicken, dann auf Sidney Juno – der in dem Film nicht mitspielt, aber so großartig ist, dass ich ihn einfach hineinschmuggle –, und ich würde sagen Ja, Ja würde ich sagen, weil diese Filme so verdammt bescheuert sind, dass es mich in den Zähnen juckt, sie zu zerreißen. Aber hier sind die Kinokarten, aus den Tiefen meines Schranks, aus diesem Karton der Trauer knallen sie mir ins Gesicht. Nun kannst du zusehen, wie ich zu leugnen versuche und um Gnade winsle.
Al hat die Karten gerade gesehen und ungläubig »Vollidioten III ?!« gesagt. Am liebsten würde ich ihm eine scheuern, aber dafür ist unser Verhältnis im Moment noch zu heikel.
Du wolltest den Film sehen, Ed, das werde ich ihm sagen, also sind wir gegangen. Ich habe mich so oft in dem dünn besetzten Kinosaal umgeschaut, bis du irgendwann gesagt hast, ob ich vielleicht eine Burka wollte, damit mich auch bloß keiner hier sieht, bei meinem ersten Vollidioten -Film, keiner meiner du-weißt-schon-was Freunde. (Wetten, du sagst dieses »verbotene« Wort jetzt andauernd, Ed? Schwul schwul schwul.) In Wirklichkeit hatte ich mich gar nicht nach meinen Freunden umgeschaut, ich wollte bloß wissen, ob außer mir noch irgendeine andere Frau da war. Und tatsächlich: Eine war da. Die begleitete eine ganze Geburtstagsgesellschaft von Elfjährigen. Daran erinnere ich mich noch, aber der Film ist komplett dem Gedächtnisverlust anheimgefallen, und zwar wegen dem, was du zu mir gesagt hast, gerade als das Licht ausging und diese katastrophale Parade von Werbefilmchen für Autos und Abendgymnasien und so begann, die das Carnelian im Leben nicht zeigen würde, das Metro jedoch hemmungslos (obwohl ich zugeben muss, dass die Werbung für Burly Soda unter rein ästhetischen Aspekten ziemlich cool ist). Das gefechtsbereite Fahrzeug flackerte auf deinem Gesicht, als du dich zu mir umdrehtest und sagtest: »Erinnere mich nachher beim Essen daran, dass ich was mit dir besprechen sollte.«
»Was denn?«
»Erinnere mich beim Essen daran.«
»Nein, jetzt sag schon.«
»Na ja, nächstes Wochenende steht was Unvermeidliches an, und wir sollten mal überlegen, wie wir das regeln.«
Mir war, als hätte mir jemand mit einer riesigen
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