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43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas

43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas

Titel: 43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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selbst, sondern auch noch ein zweites Leben zu töten?“
    „Oh, woher wissen Sie das? Sie kennen mich!“
    „Nein. Ich bin Arzt. Ich habe Sie im Wasser gehalten und hierher getragen.“
    Sie erglühte.
    „Mein Herr, ich weiß, daß ich im Begriff gestanden habe, eine große Sünde zu begehen“, sagte sie, „aber mein Mut ist dahin.“
    „Fassen Sie Vertrauen! Gott ist gut; er läßt keinen Menschen verlorengehen.“
    „Ja, Gott ist gut; aber die Menschen, die Menschen –!“
    „Haben Sie bereits so schlimme Erfahrungen gemacht?“
    „So schlimme, daß es nur noch den Tod gab.“
    „Gab es keine Hilfe, keine Rettung?“
    „Keine“, erwiderte sie dumpf.
    „Mein Kind, das ist ja eine wirkliche Verzweiflung, zu der Sie jedenfalls das Recht nicht haben.“
    „Nicht? Oh, wenn Sie wüßten!“
    „So teilen Sie mir Ihren Kummer mit. Ich zweifle nicht, daß ich imstande sein werde, Ihnen wenn nicht Hilfe, so doch Rat zu bringen.“
    „Unmöglich, mein Herr!“
    „Warum unmöglich? Sie dürfen an meiner Bereitwilligkeit, Ihnen zu nützen, nicht zweifeln.“
    „Ich zweifle nicht; ich sehe es Ihnen an, daß es Ihr Ernst ist, daß Sie ein Herz besitzen, das mild von einer Unglücklichen denkt; aber ich vermag Ihnen nicht zu erzählen.“
    „Warum nicht?“
    Sie errötete abermals tief und schwieg.
    „Stehen Sie allein?“ fragte er, um ihr die Mitteilung zu erleichtern. „Sie haben doch noch Eltern und Geschwister?“
    „Nur den Vater und einen Bruder. Jener ist eigentlich Fischer, aber, ach, es ist lange her, seit er seinen Beruf nicht mehr betreibt.“
    „So hat er einen anderen Beruf erwählt?“
    Sie schüttelte den Kopf und erwiderte nach einer Pause:
    „Einen anderen? O nein, leider nein! Ach, mein Herr, wie bin ich doch so unglücklich!“
    Sie hüllte ihr Gesicht in die Decke des Bettes und weinte wiederum. Er bat sie, aufrichtig zu sein, und seinem freundlichen Zureden gelang es endlich, sie zu beruhigen und zur Mitteilung zu bewegen.
    „Mein Vater war ein so guter und nüchterner Mann“, sagte sie. „Ja, das war er – bis meine Mutter starb. Er hatte sie liebgehabt; er grämte sich und suchte Trost im Branntwein. Ich war ein Mädchen von neun Jahren, und mein Bruder war nur drei Jahre älter als ich. Der Vater gewann den bösen Trunk immer lieber, dann kam er in schlimme Gesellschaft. Er verkehrte bald mit Männern, die er früher verachtet hatte. Er verlernte die Arbeit; er verkaufte nach und nach alles, was er hatte, und wir begannen zu hungern.“
    Sie hielt inne. Es wurde ihr sichtlich schwer, diese Geständnisse zu machen. Endlich fuhr sie fort:
    „Mein Bruder war ein starker Knabe; er wurde Schmied. Die Schmiede sind sehr oft rohe und gewalttätige Leute; er wurde es auch, aber er hat mich immer liebbehalten, obgleich er bald in die Fußstapfen des Vaters trat, seine lohnende Arbeit aufgab und des Abends mit dem Vater ausging. Wenn sie dann des Nachts nach Hause kamen, so waren sie oft reich, oft auch arm, und ich durfte niemals fragen, woher sie die Dinge brachten, von deren heimlichem Verkauf sie lebten.“
    „Armes Kind!“ sagte Sternau.
    Sie nickte traurig und fuhr fort:
    „Einst kehrten sie nicht zurück, und ich wurde des anderen Tages zur Mairie zitiert. Dort erfuhr ich, daß beide gefangen seien: man hatte sie bei einem Einbruch ertappt. Oh, das war ein trauriger Tag! Ich habe damals viel geweint, aber ich ließ den Mut nicht sinken. Während beide viele Monate lang im Gefängnis saßen, arbeitete ich bei einer Näherin; ich hatte keine Not und legte mir etwas Geld zurück, damit die Meinen nicht hungern sollten, wenn sie wieder frei würden. Sie kamen; sie nahmen mein Erspartes und vertranken es. Ich mußte zu ihnen ziehen, das alte Leben begann von neuem, und obwohl sie wiederholt bestraft wurden, besserten sie sich nicht. Nun war ich groß geworden, und der Vater sagte, daß ich hübsch sei, und meinte, jetzt sei die Zeit gekommen, in der er sich nicht mehr zu plagen und zu sorgen brauche. Darauf brachte er junge Männer zu mir, Männer, vor denen mir graute. Ich widerstand lange, aber ich erhielt Schläge. Ich wollte gehen, fliehen, aber ich wurde eingeschlossen. Endlich zwang man mich eines Abends, starken Wein zu trinken; ich wurde sehr betrunken, alles andere können Sie sich denken.“
    Sie hielt abermals inne. Die Erinnerung an jene Zeit entlockte ihr ein Meer von Tränen.
    Sie hatte in kurzen Worten eine Biographie gegeben, wie sie in Paris auf Tausende junger

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