43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas
also sage ich es. Ich rate Ihnen sehr, sich den gegenwärtigen Umständen gutwillig zu fügen. Ihr Widerstand würde nicht nur nutzlos, sondern Ihnen sogar schädlich sein.“
„Das wollen wir sehen“, meinte der Vater. „Fasse an, Junge, sie muß mit!“
Aber der Sohn folgte diesem Ruf nicht. Er sah den großen, stolzen Deutschen vor sich stehen, er blickte in dessen mildes und doch so ernstes Auge und fühlte sich durch den Blick desselben besiegt und entwaffnet. Es war der Eindruck einer reinen, festen Männlichkeit auf einen moralisch haltlosen Charakter.
„Schweige!“ gebot er seinem Vater. Und dann fragte er den Arzt: „Sie meinen es mit meiner Schwester wirklich ehrlich und werden dafür sorgen, daß sie einen guten Weg durch das Leben findet, dadurch, daß Sie ihr eine Stellung in einer hiesigen Familie geben?“
„Ja, gewiß werde ich dies tun.“
„Und sie nicht veranlassen, ihren Vater und Bruder zu verleugnen und zu verachten?“
„Es wird das auf sie selbst ankommen, ich werde sie in dieser Beziehung nicht im mindesten beeinflussen. Ich bahne ihr den Lebensweg; ob und wie sie ihn wandeln wird, das ist ganz allein nur ihre eigene Sache.“
„Werden wir erfahren, wo sie sich befindet?“
„Sie wird es Ihnen mitteilen.“
„Gut, mein Herr, so sind wir einig. Ich überlasse Ihnen meine Schwester gern.“
„Aber ich überlasse ihm meine Tochter nicht!“ rief der Vater. „Ich brauche sie, ich bin alt und schwach, ich kann nicht mehr arbeiten.“
„Sie haben einen Sohn“, sagte Sternau, „einen starken, kräftigen Sohn, der gewiß gern für Sie sorgen wird.“
„Ja“, sagte der Sohn. „Komm, Vater, wir gehen unseren Weg weiter, aber wir wollen uns dabei von dem Vorwurf freihalten, daß wir Annette mit uns gerissen haben.“
„Nein, ich gehe nicht, ich bleibe, bis das Mädchen gehorcht“, behauptete der Alte.
„Pah! Ich will es, und so wirst du es auch wollen“, meinte der Sohn. „Ich will morgen wieder nachfragen, jetzt aber gehen wir. Vorwärts!“
Der Vater wollte sich sträuben, der Sohn aber faßte ihn und schob ihn zur Tür hinaus.
Annette hatte während des Verlaufes des Gesprächs wortlos im Bett gelegen, jetzt aber streckte sie dem Arzt ihre Hand entgegen.
„Mein Herr, o wie danke ich Ihnen“, sagte sie. „Sie sind mein doppelter Retter. Sie haben mich zweimal gerettet, erst aus dem Wasser der Seine und nun aus dem Schlamm des Elends, in das man mich zurückziehen wollte.“
Sternau bemerkte, daß ihr große Schweißtropfen auf der Stirn standen.
„Was ist Ihnen?“ fragte er. „Sie schwitzen infolge des Tees?“
„Ich weiß es nicht. Ich habe so große Schmerzen.“
„Plötzlich?“
„Ja, ich kann sie kaum ertragen!“
„Ah, ich ahnte es. Ich werde Ihnen jemand schicken. Haben Sie nur kurze Zeit Geduld.“
Damit zog Sternau seinen Rock an und setzte seinen Hut auf, um zu gehen. Draußen trat ihm bereits die Wirtin entgegen.
„Ich hörte die beiden Menschen gehen. Mein Gott, waren dies rohe Leute!“
„Sie sind bereit, Madame, das Mädchen bis zur Genesung bei sich zu behalten?“
„Von Herzen gern, mein Herr.“
„Aber Sie werden viel Störung von ihr haben.“
„Davor scheue ich mich nicht. Das Mädchen ist nicht schuld an seinem Elend.“
„Gewiß nicht, was Sie an ihr tun, wird Gott Ihnen lohnen. Übrigens versteht es sich von selbst, daß ich die auflaufende Rechnung auf mich nehme.“
„Das ist sehr edel von Ihnen, mein Herr, obgleich ich nicht danach fragen würde, trotzdem ich selbst arm bin.“
„Nun, dann nehmen Sie hier diese Börse, Madame. Ich werde jetzt gehen, morgen früh aber wieder hier sein. Gute Nacht!“
Als Sternau sein Hotel in der Rue de la Barillerie erreichte, war es bereits Mitternacht. Er besuchte zunächst seine kranke Braut, die sich in abgeschiedenen Räumen unter der Aufsicht der guten Elvira und einer barmherzigen Schwester befand, und ging dann schlafen.
Am anderen Morgen besuchte er seine Gerettete bei Mutter Merveille wieder. Es ergab sich, daß er gestern abend ganz richtig vermutet hatte: Annette befand sich trotz der Schwäche außer Gefahr.
Sternau begab sich hierauf zu Professor Letourbier, bei dem er zum Frühstück eingeladen war. Im Laufe des letzteren erzählte er sein gestriges Abenteuer und erregte dadurch die Teilnahme der Frau Professorin in einer solchen Weise, daß sie sich erbot, das Mädchen zu sich zu nehmen. Das hatte er beabsichtigt.
Besonders erfreut war er, als die
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