43 - Waldröschen 02 - Der Schatz der Mixtekas
zwei Reitpferde und zwei Packpferde. Eines der letzteren trug Lebensmittel, und auf das andere hatte man einen wohl sechs Fuß langen Korb befestigt.
Der kleine Zug ging nach dem Gottesacker. Dort wurden die Pferde angebunden, während die Männer durch das stets offene Tor nach dem Begräbnis der Rodrigandas schritten. Alfonzo öffnete dasselbe. Sie stiegen hinab und öffneten im Finsteren den Sarg. Kein Wort wurde dabei gesprochen. Dann hoben sie den Toten heraus, trugen ihn empor und schlossen Sarg und Mausoleum wieder fest zu. Hierauf schafften sie die Leiche aus dem Friedhof fort, legten sie mit großer Anstrengung in den Korb, dessen Deckel mit mehreren Schlössern befestigt wurde, und trabten fort.
Es war erst gegen Morgen, als Alfonzo durch das hintere Tor zurückkehrte.
Am anderen Abend, fast um dieselbe Zeit, saß Marie Hermoyes wieder im Garten und dachte an den Toten, an das Testament, an das jetzige Leben hier und wie es doch ganz anders gewesen war, als der wackere Pedro Arbellez noch hier gewohnt hatte. Ja, wenn der noch hier wäre, so könnte sie sich bei ihm wohl Rat holen!
Da wurde sie aus ihrem Sinnen durch ein leichtes Geräusch aufgeschreckt. Sie blickte empor und erschrak. Es schwang sich jemand über die Mauer herüber. Ihr Schreck war so groß, daß sie nicht einmal um Hilfe rufen konnte. Nur einen leisen, ganz, ganz leisen Laut brachte sie hervor.
Aber dieser Laut, auf den kein anderer geachtet hätte, genügte, um sie zu verraten. Der Mann sprang nämlich sofort auf sie zu und faßte sie so bei der Gurgel, daß sie nicht schreien konnte.
„Still“, sagte er, „sonst steche ich dich nieder. Wer bist du?“
Er ließ ihre Kehle ein wenig locker, so daß sie antworten konnte.
„Ich war die Amme des jungen Herrn.“
„Ugh! Wie heißt du?“
„Marie Hermoyes.“
„Hermoyes – Hermoyes – den Namen habe ich gehört!“ Der Mann sann nach und sagte dann: „Ugh! Kennst du Pedro Arbellez und Señorita Emma?“
„Ja.“
„Sie haben von dir gesprochen. Du bist ein gutes Weib. Du wirst mich nicht verraten, und ich brauche dir kein Leid zu, tun.“
Hierauf nahm er die Hand von ihrer Kehle und ließ sie frei.
Jetzt erst getraute die Alte sich, den Mann genauer zu betrachten. Er war hoch und stark gebaut und ganz in festes, unverwüstliches Büffelleder gekleidet. Er trug eine schwere Doppelbüchse in der Hand und mehrere Waffen, die sie aber bei der Dunkelheit nicht zu unterscheiden vermochte, im Gürtel. Nun setzte er sich auf die Bank neben sie und sagte:
„Fürchte dich nicht, ich bin dein Freund!“
„Wer seid Ihr?“ fragte sie.
„Ich bin ‚Büffelstirn‘, der Häuptling der Mixtekas.“
„So seid Ihr ein Indianer?“
„Ja.“
Er hatte von ihrem Freund Arbellez und von dessen Tochter gesprochen, seine Stimme klang jetzt mild und weich, sie fürchtete sich nicht mehr.
„Was wollt Ihr hier?“ fragte sie.
„Gib mir erst Antwort auf meine Fragen!“ sagte er. „Wem gehört dieses Haus?“
„Dem Grafen de Rodriganda.“
„Welcher Ferdinando heißt?“
„Nein. Dieser ist vor einigen Tagen gestorben.“
„Wie heißt der jetzige Graf?“
„Alfonzo, der auf der Hacienda war.“
„Ist er ein guter Mann?“
Die Alte schwieg.
„Sage mir die Wahrheit. Ich bin dein Freund. Emma Arbellez sendet mich.“
„Warum fragt Ihr so?“ erkundigte sie sich.
„Weil er auf der Hacienda viel Schlimmes verübt hat. Er ist ein Lügner, ein Betrüger, ein Mörder, ein Feigling.“
„Ja, er ist nicht gut“, entgegnete sie.
„Du liebst ihn nicht?“
„Nein. Niemand liebt ihn.“
„Wer ist noch in diesem großen Haus?“
„Die ganzen Beamten und Diener. Der oberste ist Señor Pablo Cortejo.“
„Cortejo – Cortejo – den Namen habe ich auch gehört. Ich habe mich bei Señor Arbellez nach allen erkundigt. Cortejo ist ein Spanier?“
„Ja, derselbe ist verreist, und zwar nach Vera Cruz.“
„Allein?“
„Nein, mit sechs Comanchen.“
„Ugh!“ stieß der Indianer zwischen den Zähnen hervor. „Hast du die Comanchen gesehen?“
„Nein.“
„Wird auch dieser Graf Alfonzo verreisen?“
„Nein.“
„So ist er mir sicher. Wann ist Cortejo mit den Comanchen fort von hier?“
„Gestern abend um diese Zeit. Oh, Señor, habt Ihr etwas Böses im Schilde?“
„Nein. Ich liebe die Guten und hasse die Bösen.“
„Wie geht es Señor Arbellez?“
„Er ist reich und gut. Er ist gesund und stark und hat ein Kind, das ihn sehr liebt.“
„Ja,
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