434 Tage
Vielleicht weil ein Teil in mir, dich immer noch hasst. All das denke ich nur. Und sagen höre ich mich, „Keine Ahnung, ich finde es irgendwie unangebracht.“
„Unangebracht?“ Julian beugt sich zu mir, während ich weiter stur auf den See starre. „Was daran ist bitte unangebracht? Außer du schämst dich für ihn...“
Ich drehe mich zu ihm und schaue ihn ungläubig an. „Wieso sollte ich mich für Tobias schämen?“ Eigentlich will ich etwas anders sagen. Ich will ihn fragen, was er sich einbildet. Ich will ihn fragen, für wen er sich hält. Doch ich tue es nicht. Ich denke meine Meinung und halte den Mund. Und genau das ist es, was ich an der früheren Anja nicht ausstehen kann. Die hat sich am Ende der Beziehung nicht mehr getraut, ihre Meinung zu sagen. Die hat sich vor Julians Reaktionen gefürchtet und sein Augenrollen gehasst. Und deswegen hat sie alles in sich reingefressen, nur um dann am Schluss zu hören, dass er die Anja von früher irgendwie lieber gemocht hat. Und das schlimmste war, ich habe diese Anja auch lieber gemocht.
„Na, wieso kannst du mir dann nicht einfach erzählen, wie ihr euch kennengelernt habt?“
„Weil wir uns nicht wirklich kennen. Du siehst zwar aus, wie jemand, den ich mal kannte, aber wenn man es genau nimmt, bist du ein Fremder. Und offen gestanden, weiß ich nicht, ob ich diesen neuen Julian mag.“
„Für mich sind das Ausreden... Ich glaube, ein Teil in dir schämt sich für ihn.“
„Denk doch, was du willst.“ Ich stehe langsam auf.
„Wo willst du hin?“
„Ich gehe ins Bett.“
„Und was genau meinst du eigentlich mit diesen neuen Julian? “
Der Dämon ballt die Fäuste. „Keine Ahnung. Dieser gesamte Aufzug. Die geschleckten Haare, die sündhaft teure Uhr, der Maßanzug, die italienischen Lederschuhe.“ Ich mustere ihn abschätzig und schüttle den Kopf. „Vielleicht kommst du ja so bei vielen Frauen wunderbar an und wenn das so ist, dann freut mich das für dich, aber was mich betrifft, ich finde sowas lächerlich.“
„Es ist erschreckend, wie verbittert du bist“, Sein Lächeln ist getränkt von Arroganz. Es trieft abschätzig. „Die Ehe scheint dir nicht gutzutun.“
„Wenn ich es mir recht überlege, war es ein Fehler, die Einladung zum Essen anzunehmen. Ich habe mich selten schlechter unterhalten, ich werde für den Rest meines Lebens keinen Tintenfisch mehr essen können und ich weiß nicht, wie du es schaffst, dir einzureden, dass Katja eine Frau ist, mit der du es zehn Jahre aushalten würdest.“ Ich greife nach den Tabletten. „Gute Nacht, Julian.“
„Gute Nacht, Anja.“
Kapitel 8
Ich spüre sein Lächeln in den Knien. Es scheint meine Mundwinkel an unsichtbaren Fäden langsam nach oben zu ziehen. Das Licht im Flur legt sich sanft auf sein Gesicht. Es hat etwas dermaßen Verletzliches an sich, dass es mich berührt, es einfach nur anzusehen. Sanfte Linien, grazile Züge. Unergründliche Augen, tief und weit wie die Nacht. Sie sprechen mit mir und ich könnte ihnen ewig zuhören, ihn ewig ansehen. Sein Gesicht ist zeitlos schön und voller Gegensätze. Auf den ersten Blick schüchtern und unsicher, aber gleichzeitig ist da etwas in diesen Augen. Etwas Selbstsicheres, vielleicht sogar Abgründiges. Wie eine unausgesprochene Aufforderung. Sein kurzes dunkelbraunes Haar ist zerzaust. Scheinbar chaotisch und unwillkürlich. Ich frage mich, wie es sich anfühlt und bei diesem Gedanken kribbeln meine Fingerkuppen.
Es ist schon komisch. Manchmal ändert sich monatelang nichts. Jeder Tag ist wie der andere. Und dann ganz plötzlich ändert sich alles in einem Augenblick. Vor ein paar Stunden stand ich noch in der Küche und habe mich selbst bemitleidet. Wegen Christoph. Und jetzt? Jetzt ist es mir egal. Absolut gleichgültig. Und wenn Christoph Kathi in diesem Augenblick die Kleider vom Leib reißen und sie hier direkt vor meinen Augen auf diesem Tisch nehmen würde, wäre es mir auch egal. Denn es gibt ihn. Den namenslosen mit dem schönsten Lächeln, das ich je gesehen habe.
Die Musik geht aus, die Lichter an. Bis zu diesem Moment schien der Abend voller Möglichkeiten. Petras Eltern stehen fassungslos im Wohnzimmer und schauen sich um. Nach dieser Nacht werden ihre Eltern sie anders sehen. Sie haben unfreiwillig die dunkle, geheime Seite ihrer Tochter kennengelernt. Nach außen hin ist Petra ein Musterkind. Gute Noten, gute Freunde, außerschulische Aktivitäten. Von manchen dieser Aktivitäten wussten ihre Eltern
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