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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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werden begleitet von einem hektischen Pumpen in meinem Brustkorb. Ich sehe die Reflektionen der Abendsonne in blankpolierten Fliesen im Foyer und Beistelltischchen mit Schnittblumen. Das Leben um mich spielt sich weiter. Und alle spielen mit. Jeder kennt seine Rolle. Nur ich nicht. Ich stehe nur da und starre auf einen Fleck, während das emsige und geschäftige Treiben um mich einfach weitergeht. Und während ich dort stehe und das Leben beobachte, versucht mein Gehirn angestrengt, diesen Anblick zu begreifen.
    Die Art, wie er ihr seinen Arm anbietet, erinnert mich an alte Schwarzweißfilme. Als sie sich unterhakt, legt er die linke Hand einen Augenblick auf ihre. Es ist eine flüchtige Berührung. Sie scheint unbedacht, und doch ist da etwas in seinem Blick. Etwas Berechnendes. Etwas Einstudiertes. So als hätte er das bereits unzählige Male getan und genauso oft auch Erfolg damit gehabt. Sie lächelt ihn von unten an. Mädchenhaft, zurückhaltend. Sein Mund erwidert ihr Lächeln, seine Augen tun es nicht. Er trägt seinen Anzug mit einer seltsamen Mischung aus Überheblichkeit und Verachtung. Seine Schuhe sehen aus, als hätten sie noch nie einen Gehweg betreten. Sie kennen nur die ledrigen, italienischen Hände, die sie gefertigt haben. Und Ralph Lauren Socken. Und vielleicht noch Lederpflege.
    In dem Moment, als sie an mir vorbeigehen, treffen sich unsere Blicke. Da ist kein Geräusch. Nichts. Nur das Pumpen in meinem Brustkorb. Seine Augen sind undurchdringlich schwarz. Pechschwarz. Sie sind wie zwei Löcher, in die ich stürze, ohne mich zu bewegen.
    „Anja?“ Er bleibt stehen. Und mit dem Klang meines Namens, kommt mein Kopf aus dem Wasser. Der Vanilleduft pocht an die Innenseiten meines Schädels. Unmengen an Stimmen und das Läuten von Telefonen hämmern in meinem Kopf. Und trotzdem sehe ich nur diese pechschwarzen Augen, bei denen ich mir einbilde, dass sie für einen winzigen Moment den Ausdruck in meinen widerspiegeln. Er wendet sich ab. „Katja, das ist Anja, eine alte Bekannte.“ Eine alte Bekannte? Der Dämon in meinem Brustkorb hebt sein Haupt. Eine alte Bekannte?
    „Freut mich.“ Sie streckt mir eine perfekt manikürte Hand entgegen.
    Ich versuche, meinen Arm zu heben, der noch immer schlapp und taub an meinem Oberkörper baumelt. Sag etwas, Anja. Sprich. Meine Finger kribbeln. Und wie auf Knopfdruck strecke ich ihr meine Hand entgegen und lächle mechanisch. „Ja, freut mich auch.“
    „Du bist mit deinem Mann hier?“
    „Meinem Mann?“, frage ich irritiert.
    Julian deutet auf meine Hand. „Der Ring.“
    „Ach so, nein, ich bin beruflich hier.“ Meine Stimme ist die, einer Geschäftsfrau, meine Knie die eines Betrunkenen. „Ein wichtiger Kunde.“
    „Ja, wir auch“
    Wir auch. Wie abartig. Sie sind nicht nur ein Paar, sie arbeiten auch noch zusammen. Und vielleicht bilde ich es mir ein, aber ihr Griff um seinen Arm scheint bei dieser Aussage noch fester zu werden. Die perfekt manikürte Hand markiert ihr Revier.
    „Wir waren gerade auf dem Weg ins Restaurant.“
    Die Absätze meiner Schuhe bohren sich in meine Fersen. „Dann will ich euch nicht länger aufhalten.“
    „Vielleicht willst du dich uns ja anschließen?“, fragt Julian lächelnd. Und obwohl Katja bei dieser Frage ebenfalls lächelt, ihre stahlblauen Augen sagen etwas anders.
    „Danke, das ist sehr nett, aber ich bin zum Essen verabredet“, lüge ich.
    „Auch hier im Hotel?“
    „Nein, in einem Restaurant in der Stadt.“
    „Und in welchem?“
    „Ich habe den Namen gerade nicht im Kopf.“, improvisiere ich. „Ein kleiner Italiener.“
    „Wie wäre es dann mit Morgen? Abendessen? So um acht?“ Er legt seine Hand auf ihre und schaut ihr tief in die Augen. „Aber nur, wenn dir das nichts ausmacht.“
    „Kein bisschen.“ Das ist eine Lüge. Eine riesige Lüge.
    „Ich weiß nicht, ich will wirklich nicht stören.“
    „Ach komm, wir haben uns ewig nicht gesehen – wie lange ist das jetzt her? Acht, neun Jahre?“
    „So in etwa, ja.“, antworte ich, obwohl es zwölf sind. Mehr als zwölf. Ich weiß das noch. Aber das muss er nicht wissen.
    „Schatz, wir müssen...“
    „Ach ja, unser Tisch.“ Er schaut auf die Uhr. Ich hätte nie gedacht, dass er einmal so eine Uhr tragen würde.
    „Lasst euch nicht aufhalten, ich muss mich sowieso noch ein bisschen frisch machen.“
    Er mustert mich von oben bis unten. „Ja, das ist eine gute Idee, du siehst ziemlich müde aus.“
    Ich atme tief ein und lächle. Es

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