434 Tage
einem steinernen Klumpen verkrampft. Die Art von Lachen, bei der man sich abstützen muss, um nicht zusammenzubrechen. Die Art, bei der der gesamte Körper vibriert. Aber diese leuchtend roten Wangen gehören mir. Und das ist nicht komisch. Es ist zum Verzweifeln. Ich betrachte die verklebten Wimpernbündel um meine Augen und spüre wütende Tränen über meine Wangen laufen. Mein verwackelter Lidstrich erinnert mich spontan an die ersten zaghaften Schreibversuche eines Erstklässlers. Eine alte Bekannte. Arschloch. Ich greife nach den Abschminktüchern. Und während ich die verklumpte Wimperntusche von meinen Augen kratze, frage ich mich, warum ich überhaupt zugesagt habe. Dieses Abendessen ist mein wahrgewordener Albtraum. Ein Abendessen mit Maßanzug-Julian und seiner ekelhaft perfekten Freundin. Und während ich noch immer leise fluchend anfange, Make-up aufzutragen, denke ich an Tobias und dieser Gedanke beruhigt mich. Das Techno-Lied wird weniger anstrengend und meine Halsschlagader bekommt eine kleine Verschnaufpause.
…
Mit einem sanften Ruck setzt sich der Aufzug in Bewegung. Ich reibe meine Fingerkuppen aneinander und konzentriere mich auf das taube Gefühl, das diese Berührung erzeugt. Mein Blick fällt auf die golden glänzenden Aufzugtüren. Diese Reflektion ist vorzeigbar.
Ich erkenne sie schon von weitem. Das ist auch nicht weiter schwierig. An den meisten Tischen sitzen normale Menschen mit normaler Kleidung und normalen Gesichtsausdrücken. Sie sind alle so normal, dass man sie nicht wirklich wahrnimmt. Sie sind eben da, so wie die Beistelltischchen und die Kellner. Und zwischen all diesen normalen Menschen, sitzen zwei Erscheinungen. Beim Anblick ihrer Frisur ergreift mich Ehrfurcht gefolgt von der Erkenntnis, dass sie sich die bestimmt hat machen lassen. Als Julian mich bemerkt, steht er auf und lächelt. Es ist, als wäre sein Lächeln ein Kommando für meine Schweißdrüsen, denn in derselben Sekunde spüre ich, wie sich ein feuchter Film auf meiner Haut ausbreitet. In Gedanken sehe ich mich, wie ich das Reisedeo in meine Handtasche stecke und bin erleichtert über diese Weitsicht. Was mich an diesem Lächeln immer am meisten fertig gemacht hat, war der Ausdruck in seinen Augen. Es war nie das Lächeln an sich. Es war diese versteckte Aufforderung, dieser verwegene Ausdruck. Das Gefühl, in der pechschwarzen Tiefe zu versinken.
„Anja, hallo.“ Er zieht den freien Stuhl nach hinten und gibt mir ein Zeichen mich zu setzen. Diese vollendeten Manieren irritieren mich.
„Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, aber ich hatte heute einen Terminmarathon.“
„Du hattest noch nicht mal Zeit, dich frisch zu machen?“, fragt Katja und lächelt. Und dieses Lächeln ist getränkt von geheucheltem Mitgefühl.
„Die Wahrheit ist, dass ich mich schon frisch gemacht habe, auch, wenn man mir das vielleicht nicht ansieht.“ Julian schaut nach unten und presst seine Lippen aufeinander. „Ich bin nicht so der Typ für übertriebene Hochsteckfrisuren.“
„Wollen wir dann bestellen?“ Julian greift schnell nach einer Karte und reicht sie mir. Katjas Gesicht ist eingefroren. So stelle ich mir eine wütende Hochzeits-Barbie vor. Der Mund angespannt und verkniffen, die Augen kalt. Das Schweigen sitzt wie eine vierte Person an unserem Tisch und ich bin dankbar um meine Speisekarte, die mich wie eine kleine Karton-Mauer, von Katjas eisigen Blicken abschirmt.
Nachdem wir bestellt haben und mir der Kellner meine schützende Speisekarte aus der Hand genommen hat, setze ich mein freundliches Gesicht auf und spiele mein lockeres Selbst. „Und? Wie habt ihr beiden euch kennengelernt?“, frage ich. Und noch während ich das frage, frage ich mich, ob ich das überhaupt wissen will.
Auf diese Frage scheint Katja sehnlichst gewartet zu haben, denn die Wut verlässt ihre Gesichtszüge im Bruchteil einer Sekunde. Sie schaut zu Julian und legt ihre Hand auf seine. „Ich arbeite seit vier Monaten in Julians Firma. Und ungefähr genauso lange sind wir zusammen.“ Sie nimmt einen Schluck Wein. „Und ihr beide? Woher kennt ihr euch?“
In dem Augenblick, als ich Luft hole, um zu antworten, vibriert mein Handy. Julians Blick fällt auf das grelle Display, das das schummrige Kerzenlicht durchbricht. „Das dauert nur einen Augenblick“, sage ich lächelnd und drehe mich weg. „Schatz? ... Ja, ich bin noch beim Essen. ... Ich habe gestern zufällig einen Freund von früher getroffen ... Ja, mit ihm
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