434 Tage
ist ein steifes, zahnloses Lächeln, aber mehr ist nach so einer Aussage einfach nicht drin. „Gut, dann bis morgen.“
„Ja, bis dann.“
…
Ich lege das Handy beiseite, dann lege ich mich wieder ins Bett. Seit fast zwei Stunden versuche ich einzuschlafen, doch jedes Mal, wenn ich die Augen schließe, sehe ich sein Gesicht. Es ist, als wäre es an die Innenseiten meiner Augenlider getackert. Also lasse ich sie offen. Mit offenen Augen und einem dünnen Schweißfilm liege ich hellwach da und wälze mich hin und her. Und in diesem Augenblick frage ich mich, warum mich dieses Wiedersehen beschäftigt. Gut, wir waren eine Weile zusammen und ja, wir haben uns lange nicht gesehen, aber wenn man es genau nimmt, war Julians Fokus den Großteil unserer Beziehung auf sich selbst gerichtet. Es waren seine Träume, seine Ziele, seine Vorstellungen von der Zukunft. Und irgendwann hatte ich in dieser Blase kleinen Platz mehr. Sein Ego hat mich aus seinem Leben katapultiert und der Gedanke an das Aufschlagen in der Realität tut auch nach so vielen Jahren noch immer weh. Damals hat es mich fast umgebracht.
Die Wahrheit ist, dass ich die letzten Jahre kaum an ihn gedacht habe. Er war wie ein verschwommener Schatten einer vergangenen Liebe, so wie Schlieren an einem Fenster, die man nur sehen kann, wenn die Sonne direkt darauf scheint. Und das in einem Land, in dem es fast ausschließlich regnet. Gut, zugegeben, bei manchen Liedern habe ich an ihn gedacht. Oder wenn jemand mit seinem Parfum an mir vorbeigegangen ist oder wenn ich hinter einem Auto mit derselben Buchstabenkombination auf dem Nummernschild hergefahren bin. Aber die meisten Tage war er weg. Ausgelöscht. Und plötzlich ist er wieder da. Und mit ihm sein Lächeln. Und mit seinem Lächeln und diesem Funkeln in den Augen auch die Erinnerungen an die Dinge, die gut waren. Er war eben doch nicht nur das Arschloch, zu dem ich ihn in meinen Gedanken gemacht habe. Oder vielleicht war er es doch und sein Lächeln hat diese Wahrheit immer vor mir verborgen.
Es ist viertel nach fünf, als mein Handy klingelt.
„Hab ich dich geweckt?“
„Nein, ich war wach“, flüstere ich lächelnd. „Kannst du auch nicht schlafen?“
„Eine Stunde, vielleicht eineinhalb.“ Ich lege mich aufs Bett. „Ich hasse es, wenn du nicht da bist.“ Ich konzentriere mich auf seine weiche Stimme. Sie ist klingt nach zu Hause. Mit geschlossenen Augen ist es fast so, als läge er neben mir. „Wie war dein Tag?“
„Das Übliche“, antworte ich seufzend. „Viele Termine mit vielen Tassen Kaffee und vielen unterschiedlichen Vorstellungen. Und bei dir? Wie lief die Präsentation?“
„Ganz gut, aber das Essen danach ging wieder ewig.“
„Das dachte ich mir schon. Ich hab dich angerufen.“
„Hab ich gesehen, aber leider erst um drei, sonst hätte ich mich gleich gemeldet.“ Einen Augenblick schweigen wir beide. Ich genieße es, ihn einfach nur atmen zu hören. „Du fehlst mir.“
Ich drehe mich auf die Seite. „Du fehlst mir auch.“
„Was bringst du uns dieses Mal mit?“
„Ich habe noch keine Zeit gehabt, zu schauen. Vielleicht schaffe ich es heute oder morgen Nachmittag. Hast du irgendeinen Wunsch?“
„Vielleicht zwei neue Espressotassen? Ich finde es schön, dass wir so viele unterschiedliche haben.“
„Ich weiß“, sage ich lächelnd. „Ich auch.“
„Wann ist dein erster Termin?“
Ich öffne die Augen und es irritiert mich, dass er nicht da ist. Mein Blick fällt auf den Wecker. „In zweieinhalb Stunden.“
„Dann versuch’ noch ein bisschen zu schlafen.“
„Ich bin zu wach.“
„Nein, Schnecke, eigentlich bist du totmüde.“ Ich grinse. „Mach einfach die Augen zu und stell dir vor, wie ich hinter dir liege.“
„Okay.“
„Dein Kopf liegt auf meinem Arm, mit dem anderen halte ich dich fest. Du spürst meinen Herzschlag am Rücken. Alles ist warm und gemütlich. Du bist zu Hause.“
…
Der Wasserdampf gleitet gemächlich durchs Badezimmer und klammert sich an den Glasfronten und dem Spiegel fest. Mit geschlossenen Augen genieße ich das Wasser in meinem Gesicht. Es fühlt sich an, als würde es meine Gedanken reinigen und alles, was übrig bleibt, ist sauber. Die Reinheit schmiegt sich an meinen Körper. Ich denke an Tobias und muss lächeln. Und obwohl ich nicht einmal zwei Stunden geschlafen habe, bin ich hellwach.
Als ich mir das Shampoo aus den Haaren wasche, ist es plötzlich wieder da. Sein Gesicht. Seine Augen lächeln mir
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