434 Tage
angespannt.
„Denkst du denn, dass es einer ist?“
Wenn es einer ist, dann ist es etwas spät, darauf zu kommen. Ich stehe hier in einem weißen Kleid mit Rüschen und Schleier und Brautstrauß. „Nein, vermutlich bin ich wirklich nur aufgeregt.“
„Na, siehst du.“ Sie nimmt mich in die Arme. „Zweifel sind ein fester Bestandteil des Heiratens.“ Ich hatte mir das irgendwie immer anders vorgestellt. Ich dachte zwar nie, dass es der glücklichste Tag meines Lebens würde, aber ich dachte auch nie, dass ich von Zweifeln zerfressen wäre. Ganz tief in meinem Hinterkopf hämmert die Angst, dass ich gerade einen riesigen Fehler mache. „Anja, Tobias ist ein toller Mann. Ein Mann fürs Leben.“
Und mit diesen Worten, trifft sie den Nagel auf den Kopf. Er ist die Ruhe, die mir fehlt, die Ausgeglichenheit, die ich brauche, die rationale Herangehensweise, die ich nie hatte. Er ist in jeder denkbaren Hinsicht mein Gegenstück. Ich atme tief ein. „Ich bin soweit.“
…
Ich schreite zum Altar. Sanfte Geigenmusik begleitet mich. Ohne den Arm meines Vaters könnte ich keinen Schritt gehen. Ich stütze mich auf ihn, wie auf einen Gehstock. In der Ferne stehen Laura, Tobias und Thomas. Sie erwarten mich wie das jüngste Gericht.
Anja, es sind nur ein paar Minuten, dann ist der ganze Zirkus vorbei. Dann heißt du eben nicht mehr Kraus, sondern Plöger. Sonst ändert sich nichts. Und den Namen Plöger magst du schließlich. Dann heißt du so, wie Sven. Und den fandest du schließlich schon immer klasse. Mein Herz rast. Und das sind nicht die Eichhörnchen, es ist die pure Panik. Ganz ruhig, Anja, dieser Tag wird kaum etwas ändern. Dann bist du eben nicht mehr seine Freundin, sondern seine Frau. Du wohnst schließlich schon fast ein Jahr mit Tobias zusammen. Es ist eigentlich eine reine Formalität. Eine Formalität, die man im Kreise von Freunden und Familie in einem weißen Rüschenkleid besiegelt.
Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal kirchlich heiraten würde. Ich dachte immer, ich wäre eher der Nur-Standesamt-Typ. Wenig Prunk, ein schlichtes weißes Kostüm, nur Familie, sonst nichts. Aber Tobias Mutter ist glühende Katholikin. Was tut man nicht alles, um der Schwiegermutter zu gefallen. Dann zwängt man sich eben in ein furchtbar unbequemes Kleid und strahlt solange, bis die Kiefermuskulatur nicht mehr mitmacht. Ist ja nur ein Tag.
Der Pfarrer schaut mich freudig an, Laura hat feuchte Augen und Tobias steht neben mir mit geschwellter Brust. Nun gut, Anja. Wenn dich irgendjemand etwas fragt, antwortest du ganz einfach mit ja. Das ist im Grunde wirklich simpel. Ja sagen und schön aussehen.
Kapitel 43
„Ich habe vorhin bei dir angerufen.“ Der Vorwurf lodert in seiner Stimme.
„Da habe ich gerade gekündigt.“
„Ach so, und wie ist es gelaufen?“
„So wie ich wollte.“
„Das ist gut.“ Seine Freude klingt tatsächlich echt. „Du hast ja auch hart genug für die gearbeitet.“
Da ich nicht sagen kann, ob das ein Seitenhieb oder sein Ernst war, beschließe ich, nichts dazu zu sagen. „Wegen später.“
„Ja?“
„Ich werde es zeitlich kaum schaffen“, sage ich sachlich. „Meine Mutter und ich treffen uns in einer Stunde zum Kaffeetrinken und im Anschluss gehen wir essen.“
„Verstehe.“
Einen Augenblick schweigen wir beide. „Tobias, ich habe nachgedacht.“
„Und worüber?“
„Über uns.“, sage ich vorsichtig. Wie soll ich ihm das sagen? Die sanfte Version oder die Pflaster-in-einem-Ruck-runterzieh-Methode?
„Das habe ich auch.“
Vielleicht wäre es das Beste, wenn ich es ihn sagen lasse. Wenn er mich um die Scheidung bittet, dann nehme ich ihm wenigstens nicht auch noch seinen Stolz. „Und zu welchem Schluss bist du gekommen?“
„Anja, ich habe dir ein Versprechen gegeben. In guten wie in schlechten Zeiten und ich habe das so gemeint. Wir haben uns versprochen, bis an unser Lebensende zusammen zu bleiben.“ Jeder einzelne Muskel in meinem Körper ist angespannt. Nein, verspannt. Sogar meine Augenlider. Ich spüre wie sich kalter Schweiß wie ein Flächenbrand auf meiner Haut ausbreitet. „Wir gehören zusammen. Ich weiß, ich habe gesagt, dass es uns nicht mehr gibt, aber da war ich wütend und wahnsinnig verletzt.“ Mit den Fingerkuppen massiere ich meine Schläfen. „Ich darf dich nicht verlieren. Ich liebe dich doch.“ Ich versuche zu begreifen, was er gerade gesagt hat. Wie kann er zu diesem Schluss gekommen sein? Meine Knie fühlen sich fremd
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