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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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an, und ich bin froh, dass ich sitze und sie mein Gewicht nicht halten müssen. Wie kann er das ernsthaft wollen? Nach allem, was passiert ist? Nach allem, was ich getan habe? Ich habe das Gefühl, als sollte ich dankbar sein. So als wäre ich ihm diesen Versuch schuldig. Aber ich will nicht. Ich will etwas anderes. Hätte ich ihn doch bloß nicht zu Wort kommen lassen. Warum konnte er mich nicht einfach um die Scheidung bitten? Ich meine, jetzt stehe ich noch beschissener da, wenn ich es tue. Ich betrüge ihn, er verzeiht mir und ich, die Betrügerin, will die Scheidung. „Anja? Bist du noch dran?“
    „Ich, ja, ich bin noch dran...“, stottere ich.
    „Und was denkst du?“
    Das willst du nicht wissen. „Was ich denke?“, frage ich und massiere weiter meine Schläfen. „Ich weiß nicht, wie das gehen soll. Ich kann deine stündlichen Anrufe nicht gebrauchen und dein Misstrauen und die unterschwelligen Andeutungen.“
    „Was erwartest du? Du hast mich ein Jahr lang betrogen.“
    „Ich sage nicht, dass du nicht das Recht dazu hast, so zu reagieren. Das hast du. Aber das will ich nicht.“
    „Ich werde daran arbeiten. Ich werde dir wieder vertrauen. Wenn du mir versprichst, ihn nie wieder zu sehen.“
    Und auf dann ist alles völlig klar. So, wie Nebel, der sich verzieht. Ich könnte ihm Einiges versprechen. Eigentlich fast alles. Außer das. „Tobias, ich denke, wir sollten uns scheiden lassen.“
    …
    Er hat aufgelegt. Endlich. Ich halte das Handy noch immer in der Hand. Erst hat er geschrien. Dann geweint. Und zu guter Letzt gedroht. Er wird nicht in die Scheidung einwilligen, er wird alles machen, damit es möglichst schwer für mich wird, das Haus kann ich vergessen, er lässt die Schlösser auswechseln, meinen ganzen Kram zündet er an.
    Gott sei Dank haben wir keine Kinder. Und Gott sei Dank haben wir getrennte Konten. Dann bleibt mir wenigstens mein Geld. Auf den Rest kann ich verzichten. Mein Netbook und mein Handy samt Ladekabel habe ich dabei, meine Bankkarten, meinen Pass und meine Schlüssel auch. Im schlimmsten Fall habe ich alles, was ich brauche. Telefonnummern, Adressen, Kontakte. Alles in meinem Kopf oder meinem Computer. Es wäre schade um den Familienschmuck, um die Ringe meiner Großmutter und um meine Tagebücher. Aber im Notfall kann ich auch die hinter mir lassen. Soll Tobias sie doch anzünden.
    Alle behaupten immer, sie wollen Ehrlichkeit. Aber das stimmt nicht. Das ist so eine Sache mit der Ehrlichkeit. Jeder denkt, sie zu wollen. Jeder denkt, sie ertragen zu können. Wenn das, was gesagt wird, dem entspricht, was der andere hören will, ist Ehrlichkeit eine wunderbare Sache. Aber wehe, sie tut das nicht. Und leider ist das nicht selten der Fall.
    Ich krame in meiner Tasche nach Julians Briefen. Drei habe ich noch. Ich steige aus dem Auto und gehe in ein Café um die Ecke. Ich setze mich an einen der freien Tische und bestelle einen Pfirsichsaft, dann ziehe ich den nächsten Brief aus seinem Umschlag.
    Liebe Anja,
    Larissa will heiraten. Du fragst dich sicher, wer sie ist und wie sie dazu kommt, mich heiraten zu wollen. Larissa und ich haben uns vor etwas über vier Jahren kennengelernt. Ich gebe Grafik-Seminare und sie war eine meiner Studentinnen. Wir haben uns sofort gut verstanden, sind ab und zu ins Kino gegangen, haben Ausstellungen angesehen.
    Du wirst sagen, eine zweite Claire eben. Und damit hättest du völlig recht. Nur, dass ich dieses Mal den ersten Schritt gemacht habe. Ich habe sie geküsst. Und ich wollte mit ihr zusammen sein. Nach vier Monaten ist sie dann zu mir gezogen.
    Alles lief wunderbar, bis sie gestern Abend mit diesem blöden Hochzeits-Thema angefangen hat. Wir wären schließlich schon über vier Jahre zusammen und da wäre so was doch völlig normal und sie geht auf die dreißig zu und sie will Kinder und sie will Kinder mit mir. PAM. Ich bin mit einem Schlag KO gegangen. Und sie redet und redet, fragt mich, ob ich sie nicht liebe und ob ich nicht darüber nachgedacht habe. Sie hört nicht auf zu reden, doch ich höre sie nicht mehr. Und dann wird mir klar, dass ich auf keinen Fall den Rest meines Lebens mit ihr verbringen kann. Ich kann und ich will nicht. Ihre Stimme wird schrill und schreit nach Aufmerksamkeit, und ich will nur raus, will rennen. Weg von ihr und weg von diesem Gespräch aus der Hölle.
    Das Problem ist, dass sie recht hat. Es wird langsam ein Thema. Alle Frauen in diesem Alter wollen geheiratet werden und Kinder machen. Na,

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