434 Tage
Los gezogen hat. Ich habe mich in meinem Schutzwall aus Beton, Glas und Stahl verschanzt. Die kalte und distanzierte Fassade des Hauses wurde immer mehr zu meiner eigenen. Ich trinke den Cappuccino in einem Sitz leer, bezahle und gehe in den Hotelgarten.
…
„Julian?“ Meine Stimme zittert.
„Anja.“ Seine nicht. Sie klingt sehr geschäftlich und streng, so als wäre der Zeitpunkt gerade ungünstig. „Ich bin gerade in einer Besprechung“, flüstert er. Da hatte ich über ein Jahr lang Zeit, ihm zu sagen, was ich fühle. Über ein Jahr. Es gab unzählige Momente, wo ich es einfach hätte sagen können. Aber ich habe es nicht gesagt. Ich habe es so gut vor mir selbst versteckt, dass ich es selbst nicht wusste. „Bist du noch dran?“
„Ich... ja, ich bin noch dran.“
„Kann ich dich später anrufen?“
„Und wann?“
„Das könnte sich noch hinziehen“, er hält das Telefon weg. „Einen Augenblick noch, ich bin gleich da. Anja, tut mir Leid, aber ich muss jetzt wirklich Schluss machen.“
„Rufst du mich später an? Es ist wirklich wichtig.“
„Ja, mach ich.“
Jeden Augenblick wird er auflegen. Doch ich muss es sagen. Unbedingt. Mein Dämon hebt drohend den Kopf. „Julian?“
„Ja?“, flüstert er.
„Ich liebe dich“
„Du... was?“
„Ich liebe dich“, sage ich noch einmal.
„Was soll das heißen, du liebst mich?“ Einen Moment schweigen wir beide. „Ich meine, was bedeutet das?“
„Wir können später darüber reden...“, sage ich und schlucke. „Die warten doch auf dich.“
„Dann warten sie eben.“, flüstert er ungehalten. „Sag mir, was das heißen soll, Anja. Was bedeutet das?“ Als ich gerade antworten will, flüstert er schroff, „Ich bin echt durch mit Affären. Ich kann das nicht mehr, Anja, und wenn es das ist, was du willst, dann...“
„Ich liebe dich.“ Mein Dämon seufzt erleichtert und die Eichhörnchen toben durch meinen Brustkorb. Sie kichern und kugeln sich. „Ich liebe dich, Julian.“
„Du meinst das ernst.“, stellt Julian irritiert fest.
„Ja, das tue ich.“
„Nur, damit ich das richtig verstehe, du verlässt deinen Mann?“
„Ich lasse mich scheiden, ja.“
„Du lässt dich scheiden...“ Er klingt abwesend. Als wäre er in Trance. „Wo bist du jetzt?“
„Auf dem Weg nach Hause. Ich hole ein paar Sachen.“
„Was für Sachen?“
„Tagebücher, Schmuck, Klamotten...“
„Ist er zu Hause?“
„Tobias? Nein, der ist in London.“
„Und das weißt du sicher?“
„Er ist gestern Abend geflogen.“
„Brauchst du das Zeug unbedingt? Ich meine, lass es doch einfach dort.“
„Ich will die Tagebücher.“
„Wann kann ich dich sehen?“ Ich schließe die Augen und lausche seiner tiefen Stimme. „Wie lange brauchst du?“
„Eine, vielleicht zwei Stunden.“
„Dann treffen wir uns in zwei Stunden bei mir.“ Er klingt nicht mehr streng und geschäftig. Seine Stimme ist so nervös, wie ich mich fühle. „Und du wirst es dir nicht anders überlegen? Ich meine, du wirst da sein?“
„Ich werde da sein. In zwei Stunden bei dir.“
Ich schließe die Augen und betrachte sein Gesicht an der Innenseite meiner Augenlider. Seine unergründlichen Augen glänzen, sein Mund lächelt unwillkürlich. Ich sehe die unsichtbaren Fäden und höre ihn tief einatmen. „Ich schicke dir gleich die Adresse.“
„Okay, dann bis später.“ Ein betäubtes Gefühl legt sich auf meine Hände. Sie kribbeln, als würden sie gerade einschlafen. Meine Knie sind weich und meine Zunge liegt in meinem Mund wie ein gestrandeter Wal. „Ich freue mich.“
„Ich mich auch. Und Anja...“
„Hm?“
Er hält das Telefon weg. „Ja, ich komme schon.“ Ich höre es leise knacken. „Ich liebe dich auch.“
Kapitel 47
Obwohl es schon nach sieben ist, liegt die Sommerhitze noch regungslos auf der Stadt. Die Luft fließt zäh durch die Straßen. So, als wäre sie zu müde, um sich zu beeilen. Es dämmert bereits, als ich den Schlüssel im Schloss umdrehe. Die Tür geht auf. Nun gut, dann hat er seine Drohung noch nicht wahr gemacht.
Grünlich-gelbes Licht flutet das Wohnzimmer. Es ist bedrohlich und irgendwie unecht. Und zum ersten Mal wirkt dieses Haus nicht wie ein Schutzwall. Es ist eine moderne Festung und ich der Eindringling.
Mein Blick fällt auf das Bild an der Wand. Und wieder wendet sich mein Dämon instinktiv ab. Ohne mir erklären können, warum, will ich hier raus. Ich spüre ein verzweifeltes Pumpen in meinem
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