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434 Tage

434 Tage

Titel: 434 Tage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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Brustkorb. Es donnert gegen meine Rippen. Vielleicht sollte ich einfach gehen. Ich brauche weder die Tagebücher noch den Schmuck. Einen Augenblick stehe ich regungslos im Flur. Mein Dämon will gehen. Aber, wenn man es genau nimmt, wollte mein Dämon nie hier sein. Deswegen hat er sich jahrelang tot gestellt.
    Anja, jetzt reiß dich zusammen. Du kennst dieses Haus und du hast dich hier noch nie gefürchtet. Ich versuche, ruhig zu atmen und meine Schweißausbrüche zu ignorieren, während ich in meinem Arbeitszimmer nach dem kleinen Reisekoffer suche.
    Als ich die Stufen nach oben gehe, hebt mein Dämon noch einmal seinen Kopf. Ich weiß genau, wo alles liegt. Das dauert nicht lang. Das scheint ihn nicht zu überzeugen. In zehn Minuten sind wir wieder im Auto.
    Ich öffne die Schlafzimmertür und gehe direkt ins Bad. Ich schmeiße den Schmuck zusammen mit ein paar anderen Kleinigkeiten in den Koffer, dann noch das Schminkzeug und mein Parfum. Und während ich ein paar Kleidungsstücke aus dem Schrank reiße, höre ich ein Geräusch. Ich rühre mich nicht. Alles um mich ist still. Lautlos. Da ist nichts außer meinem flachen Atem, meinen weichen Knien und der Panik, die durch meinen Körper kriecht. Instinktiv greife ich nach dem Telefon und rufe meine Mutter an, aber sie geht nicht dran.
    Ich atme tief durch und lege das Telefon aufs Bett. Da war nichts. Ich habe mir das bestimmt nur eingebildet. Niemand ist hier. Ich bin allein. Das Geräusch kam vermutlich von draußen. Ich muss fast ein bisschen über mich selbst lachen, weil ich ehrlich gesagt nicht gedacht hätte, dass ich so ein Angsthase bin. Da höre ich ein kleines Geräusch und der Schreck geht mir bis in die Knochen. Kopfschüttelnd gehe ich zurück zum Schrank. Doch das Fach, in dem ich meine Tagebücher aufbewahrt habe, ist leer. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und taste mit den Händen bis in die letzte Ecke. Leer. Anja, häng dich nicht an den blöden Tagebüchern auf. Geh einfach. Aber was, wenn er sie gelesen hat? Na, ganz offensichtlich hat er das.
    Als ich die Schranktür schließe, sehe ich etwas im Augenwinkel und schrecke zusammen. Einen Moment lang kann ich mich nicht bewegen. Ich spüre meinen Körper nicht. Nur mein Herz und meine Knie. Er schaut mich mit einem fremden Gesichtsausdruck an. Mit fremden, leeren Augen.
    „Suchst du die hier?“ Er hält zwei meiner Tagebücher hoch.
    „Gib sie mir...“ Wir rühren uns nicht. Keinen Millimeter.
    „Ich hätte diese Tagebücher schon vor Jahren lesen sollen.“
    „Ich will sie haben“, sage ich ruhig und strecke ihm die Hand entgegen. „Gib sie mir zurück.“ Ich rieche Alkohol. Tonnen von Bourbon.
    „Weißt du, wie viele Einträge mit mir zu tun haben?“ Zorn flackert in seiner Stimme. „Oder wenigstens mit uns? “ Es ist bedrohlich still. Da ist kein Laut, bis auf mein angestrengtes Schlucken. „Ich habe gesucht. Ich habe wirklich jeden gelesen.“ Er geht einen Schritt auf mich zu. „Und weißt du wie viele ich gefunden habe? Ach ja richtig, das muss ich dir nicht sagen. Du hast sie schließlich geschrieben.“
    „Tobias, diese Tagebücher sind uralt. Da kannten wir uns gar nicht.“
    „Das dachte ich auch erst, aber dann habe ich das hier gefunden.“ Er hält ein kleines grünes Notizbuch hoch und ich spüre, wie der Ausdruck unvermittelt aus meinem Gesicht fällt. Zurück bleibt nichts, als Leere. In meinem Gesicht und in meinem Kopf. Ich dachte, er würde es nie finden. Ich dachte, ich hätte es gut genug versteckt. Ich wollte mich jemandem anvertrauen. Irgendjemandem. Ich wollte die Schuldgefühle loswerden. Einfach irgendwo abladen. Aber ich wusste nicht wo. Und dann habe ich angefangen zu schreiben. Ich habe meine wirren Gedanken versucht zu ordnen. „Ja, ich habe es gefunden.“ Mein Magen verkrampft sich und ein eisiges Gefühl, klettert über meinen Körper. Es liegt auf meiner Haut wie ein durchsichtiger Umhang. Als mein Dämon aus seiner Schockstarre erwacht, stößt er mich mit aller Kraft in die Seite. Ich hätte nicht hierher kommen sollen. Ich hätte mein altes Leben hinter mir lassen sollen. Neu anfangen ohne die Altlasten. Ich konzentriere mich auf meine Beine. Sie scheinen weiter weg zu sein als sonst. Als ich den ersten Schritt in Richtung Tür mache, bemerke ich erst, dass meine Knie mich kaum halten können.
    „Was tust du da?“
    Beim Versuch zu sprechen, zittern meine Stimmbänder. „Ich gehe.“
    „Zu ihm? “
    „Tobias, was spielt das für eine

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