44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
Arbellez ihm die Hand auf die Achsel legte und mit leiser Stimme fragte:
„Ist es wahr, daß Ihr der Bruder von Señor Antonio seid?“
Helmers richtete die in Tränen schwimmenden Augen zu dem Frager empor und antwortete:
„Ja, ich bin sein Bruder! O mein Gott, welch ein Wiedersehen!“
„So seid Ihr Seemann?“
„Ja.“
„Er hat uns viel von Euch erzählt.“
„Ich bin tot, ich bin erschlagen“, klagte der Irre dazwischen.
Sternau hatte bisher kein Auge von ihm verwandt, jetzt fragte er:
„Was ist die Ursache seiner Krankheit?“
„Ein Schlag auf den Kopf“, antwortete Arbellez.
„Haben Sie einen Arzt gehabt?“
„Ja, längere Zeit.“
„Hat dieser gesagt, daß keine Hilfe möglich sei?“
„Ja.“
„So ist dieser Arzt ein Pfuscher, ein unverständiger Ignorant. Fassen Sie sich, Helmers. Ihr Bruder ist nicht wahnsinnig, sondern geistig gestört; es ist noch Hilfe möglich.“
Da ertönte ein heller Jubelschrei. Emma Arbellez hatte ihn ausgestoßen. Sie kam auf Sternau zugeflogen, faßte seine beiden Hände und fragte:
„Sagen Sie die Wahrheit, Señor?“
„Ja.“
„Gewiß? Sind Sie Arzt?“
„Ich bin Arzt und hoffe das Beste. Sobald ich die näheren Umstände weiß, unter denen er erkrankte, werde ich Ihnen mit Gewißheit sagen können, ob ich Hilfe bringen kann.“
„Oh, so lassen Sie sich erzählen –“
„Gemach, Señorita!“ unterbrach Sternau sie. „Das möchten wir uns denn doch bis zu einem ruhigeren Augenblick aufsparen. Zunächst haben wir noch anderes zu besprechen, das ebenso wichtig und nötig ist.“
Sie ließ sich nur ungern zurückweisen und führte den Irren heraus.
„Es muß eine sehr wichtige Angelegenheit sein, die Sie hierher geführt hat“, sagte der Haziendero in einer Art von Vorahnung.
„Eine sehr, sehr wichtige“, bestätigte Sternau.
„Meine Hacienda war Ihr einziges Ziel?“
„Ja.“
„Und Sie haben sie ohne Führer gefunden?“
„So ziemlich. Erst gestern früh trafen wir einen Mann, der uns bis hierher begleitete. Es war ein Indianer, vom Stamm der Mixtekas.“
„Der Mixtekas? Das ist ‚Büffelstirn‘ gewesen.“
„‚Büffelstirn‘ ist es gewesen, ‚Büffelstirn‘?“ fragte Sternau überrascht. „Er trug doch gar nicht die Abzeichen eines Häuptlings!“
„Das tut er nie. Er kleidet sich nur in Büffelhaut und trägt als Waffe eine Büchse und sein Messer.“
„So war er es. Ich bin mit ‚Büffelstirn‘ geritten, ohne es zu wissen. Er hat es uns verschwiegen; er ist ein echter, richtiger Mann. Wird man ihn wiedersehen?“
„Er ist jetzt täglich in der Gegend. Sie bleiben doch auf einige Zeit hier?“
„Das werden die Umstände bestimmen. Wann haben Sie Zeit, zu hören, was uns hierhergeführt hat?“
„Sogleich oder auch später, je nachdem Sie es wünschen. Ist die Sache kurz und muß sie sogleich erledigt sein?“
„Nein. Sie bedarf einer längeren Zeit und will überhaupt sehr achtsam behandelt sein. Es handelt sich um ein Familiengeheimnis, zu dessen Aufklärung wir Ihre Hilfe und diejenige von Maria Hermoyes brauchen.“
„Ich stehe zur Verfügung, bitte aber zunächst um die Erlaubnis, Ihnen Ihr Zimmer anweisen zu dürfen.“
Karja, die Indianerin, trat ein. Sie hatte nach den Zimmern gesehen und kam nun, um die Herren zu führen. Sternau erhielt dasjenige, das Graf Alfonzo gewöhnlich bewohnt hatte. Er reinigte sich vom Schmutz der Reise und ging dann auf einen Augenblick hinunter in den Garten. Dort sah er die schöne Tochter des Hazienderos sitzen, neben ihr den Irren, der sich höchst gleichgültig von ihr liebkosen ließ. Sie erhob sich, um dem Gast Platz zu machen.
Er setzte sich so, daß er den Kranken beobachten konnte, und begann nun mit der Señorita ein Gespräch, im Verlauf dessen sie ihm die Abenteuer in der Höhle des Königsschatzes und also auch den Grund von der Erkrankung ihres Bräutigams mitteilte. Er hörte aufmerksam zu, denn ihre Erzählung erregte noch mehr als bloß sein ärztliches Interesse.
„Also der berühmte ‚Bärenherz‘ war auch dabei“, sagte er darauf. „Hat sich dieser Apachenhäuptling seitdem wieder sehen lassen?“
„Nein.“
„Und all, all dieses Unheil nur um eines einzigen Menschen, um dieses Alfonzo Rodriganda willen. Man wird ihm das Handwerk legen und ihn seine Missetat sühnen lassen.“
„Oh, Señor, wird auch hier bei meinem armen Antonio eine Sühne, eine Hilfe möglich sein? Sein Bruder hat mir bereits erzählt, während Sie
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