44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
wurde dadurch zorniger.
„Lach nur, du Satan“, sagte er. „Es gibt noch andere Schmerzen.“
Er fühlte sich bis zur Gefühllosigkeit zornig; er faßte die Hände des Verwundeten und gab beiden Armen einen so gewaltigen Ruck, daß er glaubte, sie aus dem Leib zu ziehen. Verdoja stieß einen entsetzlichen Schrei aus, beantwortete aber die Frage nicht.
„Mensch, du bist für den Teufel zu schlecht!“ rief er. „So stirb denn so, wie du es willst. Gott wird uns helfen!“
Er rüttelte an dem Strick, zum Zeichen, daß er empor wolle, und faßte dann denselben mit beiden Händen zu. Als Verdoja dieses bemerkte, erhob er den Kopf, spie nach dem jungen Mann und rief mit überschnappender Stimme:
„Seid verflucht! Verflucht! Verflucht!“
Diese Abschiedsworte brachten Mariano auf einen Gedanken, den er bis jetzt gar nicht gehabt hatte – wunderbarerweise. Er kniete noch einmal vor Verdoja nieder und untersuchte dessen Kleider. Er fand eine Uhr, Geld, Ringe, einen Revolver, ein Messer und andere Kleinigkeiten; er nahm ihm alles ab und steckte es zu sich.
„Räuber!“ rief Verdoja.
„Pah, wir können es gebrauchen, du aber nicht, Halunke!“
Er probierte nochmals am Seil, ob es oben festhalten werde, und turnte sich dann an demselben empor. Er erreichte den Rand, und während von unten das herzzerreißende Wimmern heraufscholl, wurde er von den anderen nach dem Erfolg seiner Sendung gefragt. Als er denselben mitteilte und auch erzählte, welche Folter er angewendet habe, um den Menschen zum sprechen zu bringen, zogen sich die Mädchen voll Grauen zurück, Helmers aber sagte:
„Warum haben Sie diesen Satan nicht erstochen oder erschlagen?“
„Fällt mir nicht ein. Er will nicht gerettet sein, weil auch wir frei würden, und so mag er krepieren und verschmachten, wie er es uns bestimmt hat.“
„So bleibt uns nichts übrig, als zu den Messern zu greifen und die Backsteine um die Tür auszugraben. Wenn wir die Konstruktion nur einer einzigen Tür kennen, so können wir alle anderen Türen öffnen.“
Sie kehrten in die Gänge zurück, und zwar zu der von Verdoja zuletzt verschlossenen Tür, und machten sich da an die Arbeit. –
Unterdessen hatten sich die Dragoner in der Hacienda Verdoja einquartiert, und ihre Offiziere warteten auf die Rückkehr des Besitzers. Der Tag verging, der Abend und die Nacht ebenso, und Verdoja kam nicht. Nun war der Rittmeister überzeugt, daß er entflohen sei, und behandelte die Hacienda als feindliches Gebiet. Er hatte die Aufgabe, den Herd der Empörung gegen Norden zu von der Provinz Sonora abzuschließen, und da in diesen Gegenden das Militär dazu zu schwach war, so waren Botschafter an die Häuptlinge der nördlichen Indianer gegangen, und die Comanchen hatten sich bereit erklärt, die Gegend zu besetzen. Sie kamen in hellen Haufen herangezogen, aber ihre eigentliche Absicht war nicht, die Verfassung von Mexiko zu schützen, sondern im trüben zu fischen und möglichst reich an Beute nach ihren Wigwams zurückzukehren. Während es auf der Hacienda Verdoja von Kriegern wimmelte, sah es auf der Hacienda del Erina sehr einsam aus.
Pedro Arbellez, der Besitzer derselben, hatte jene Nacht, in welcher seine Tochter geraubt wurde, mit Helmers, dem Bruder des Steuermannes, auf der benachbarten Hacienda Vandaqua zugebracht. Dies wissen wir bereits. Als am anderen Morgen die brave Marie Hermoyes erwachte, war ihr erstes, wie gewöhnlich die Schokolade für Emma und Karja zu bereiten. Als dieselbe in den Tassen dampfte, trug sie sie empor nach den Schlafzimmern der beiden Señoritas. Wie erstaunte sie aber, als sie die Zimmer verlassen fand.
Eine Unordnung, oder gar die Spur eines Kampfes war nicht zu erkennen; dafür hatte Verdoja kluger Weise gesorgt, und da sich bald herausstellte, daß auch die drei Señores Sternau, Helmers und Mariano die Hacienda verlassen hatten, so glaubte die alte Dame, daß es sich hier um weiter nichts als einen schnell beschlossenen Morgenausflug handele.
Als aber der Morgen und dazu der halbe Nachmittag verging, ohne daß die Vermißten zurückkehrten, so ward die Sorge dringender. Es gab nur noch Beruhigung in der Annahme, daß alle fünf Personen einen Ritt nach der Hacienda Vandaqua unternommen hätten, um den Vater und den Geliebten zu überraschen. Da kehrten aber Pedro Arbellez und Helmers allein zurück, und sogleich stand bei der guten Marie die Überzeugung fest, daß es sich hier um ein sehr großes Unglück handle. Sie eilte in
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