44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
mitzubringen.“
„Ich bin diesem Wunsch nachgekommen“, antwortete der Mann. „Ich wußte nicht, welcher Art das Geschäft ist, das mich zu Ihnen ruft, Hoheit; ich hielt eine kleine Vorherbesprechung für vielleicht notwendig, und darum traf ich die Vorkehrung, die Zeugen eine Viertelstunde später zu bestellen.“
„Diese Vorkehrung ist mir erwünscht“, meinte der Herzog. „Nehmen Sie Platz.“ Und zu Flora sich wendend, fügte er hinzu: „Du kannst mich jetzt verlassen, mein Kind; ich werde deiner vor einigen Stunden nicht bedürfen.“
Flora warf einen besorgten Blick auf ihn und fragte:
„Aber wirst du eine so lange Konferenz auch aushalten können, Vater?“
„Gewiß. Und sollte ich gezwungen sein zu klingeln, so brauchst du nicht selbst zu kommen, sende mir den Diener.“
Da trat in Floras Auge eine nicht zurückzudrängende Feuchtigkeit; sie war überzeugt, daß es sich um die Anfertigung eines Testamentes handle, aber dem Vater zuliebe beherrschte sie sich möglichst und verließ das Zimmer.
Gerade in diesem Augenblick kehrte der Diener aus der Stadt zurück, und so war für Flora keine Veranlassung vorhanden, sich länger zu verweilen. Sie erteilte also dem Diener die nötige Instruktion und bereitete sich dann zu einem kurzen Spaziergang vor. Die Pflege des kranken Vaters nahm ihre Kräfte so sehr in Anspruch, daß sie um ihretwillen gezwungen war, sich diese Erholung zu gönnen.
Sie stieg langsam die Anhöhe hinauf. Rechts von ihr lag die Stadt, und zur linken Hand dehnte sich die weite, unruhige See. So unruhig war auch ihr Herz. Sie wußte, daß sie bald den Vater verlieren werde; sie stand dann allein auf der Welt. Zwar hatte sie ihren unermeßlichen Reichtum; beides war genug, um ihr die Welt, die Gesellschaft mit allen ihren Genüssen zu öffnen, aber sie trachtete nach dem allen nicht.
Während sie so emporstieg, ging ihre Vergangenheit an ihrem geistigen Auge vorüber. Sie hatte ihre Mutter niemals gekannt, war stets nur fremden Händen anvertraut gewesen, denn auch ihr Vater hatte sich nicht viel um sie gekümmert. Alle diese Bonnen und Erzieherinnen waren ihr fremd vorgekommen und fremd geblieben; nur eine einzige hatte sie lieb gehabt, jene Deutsche, Señorita Wilhelmi, die so plötzlich wieder verschwunden war, um die sie aus ihr unbegreiflichen Gründen jedoch niemals klagen, die sie niemals in der Gegenwart des Vaters erwähnen durfte.
So war die Zeit vergangen und sie war zur Jungfrau herangereift. Sie war schön gewesen, der Spiegel hatte es ihr gesagt, und von hundert Anbetern war es ihr in allen Tönen versichert worden. Aber keiner von diesen hundert war der Mann gewesen, dem sie sich hätte zu eigen geben mögen. Der Herzog hatte auf sie gescholten, aber vergebens. Er hatte schließlich an ihrer Stelle für sie gewählt, aber sie war hier zum ersten Male so mutig gewesen, Widerstand zu leisten. Sie hatte erklärt, daß sie denjenigen, dem sie ihre Hand geben werde, selbst wählen wolle. Der Vater hatte gezürnt, war aber durch ihre Festigkeit genötigt worden, ihr nachzugeben.
Plötzlich aber war ein Umschwung seiner Stimmung eingetreten. Eine Krankheit hatte ihn auf das Lager geworfen; zwar hatte ihm die Kunst der Ärzte das Leben erhalten, aber die Folgen der Krankheit waren nicht zu vermeiden gewesen, sie entwickelten sich zu einer unaufhaltsamen Abzehrung. Der Herzog hatte seinen Jugendkräften zu viel zugemutet, und jetzt kam die Strafe. Er wurde ernst, er lernte an das Ende und an das Jenseits zu denken, er hielt Heerschau über die vergangenen Tage seines Lebens, und er sah, daß die Sünde seine einzige Tätigkeit gewesen sei. Da erfaßte ihn bittere Reue. Er dachte an die, denen er ihre Tugend, ihre Unschuld geraubt hatte, er gedachte besonders jener Deutschen, die er durch den Teufelstrank gezwungen hatte, sich zu ergeben, er fühlte den Wunsch, ja, die heilige Verpflichtung, diese wieder gut zu machen, und in seinem immer schwächer werdenden Hirn tauchte die Erinnerung eines Tages auf, den er längst vergessen zu haben glaubte.
Es war einst im Park seines Schlosses Olsunna promenieren gegangen, voll untröstlicher Gedanken an seine Vergangenheit und ein sich mit grausamer Sicherheit näherndes Ende. Da hatte es plötzlich in den Büschen geraschelt, und es war ein altes, widriges Zigeunerweib vor ihn hingetreten.
„Kennst du mich, Olsunna?“ hatte es gefragt.
Er hatte es betrachtet, aber keinen bekannten Zug in seinem durchfurchten Gesicht
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