44 - Waldröschen 03 - Der Fürst des Felsens
Worten in den Flur getreten, und da kein Mensch zugegen war, so schlang er den Arm um sie, hob ihr Köpfchen empor und küßte sie auf die ihm so voll und warm entgegenblühenden Lippen. Sie schloß die Augen und trank seinen Kuß wie eine Himmelsgabe; ihr voller, schwellender Busen hob sich, ihre Hand legte sich um ihn, er atmete ihren reinen Odem und küßte und küßte sie immer wieder, bis sie sich ihm entzog, und mit reizendem Schmollen warnte:
„Nicht zu viel, du Kühner, du Böser! Vater merkt es sonst. Komm!“
Als sie eintraten, leuchtete sein Auge noch, trunken von der Wonne dieses Augenblickes, und ihr schönes Angesicht glühte wie die Farbe der Rosenknospe, die schwillt, um aufzubrechen und den Strahl der Sonne zu saugen.
Der Herzog bemerkte es, aber er tat, als sähe er nichts, und sagte:
„Willkommen, Herr von Rodenstein! Ich habe Sie bereits erwartet, um Ihnen zweierlei und zwar sehr Gutes mitzuteilen.“
Bei diesen Worten lachte aus seinen hageren Zügen ein Strahl inniger Freude.
„So muß ich mein spätes Kommen entschuldigen“, antwortete Otto. „Aber eine gute Nachricht zu hören, ist es nie zu spät.“
„Ich hoffe es! So hören Sie. Erstens sollen Sie mit uns dinieren. Ist Ihnen das recht?“
Otto nickte mit dankbarem Lächeln. Diese Einladung war ihm ja ein neuer Beweis, daß er das Wohlwollen des Kranken besitze. Er fühlte in diesem Augenblick nicht die geringste Spur seines früheren Menschenhasses, seiner Verbitterung mehr und antwortete:
„Ich akzeptiere mit Freuden. Sie dürfen überzeugt sein, daß ich mich innig beglückt fühle, Ihnen Gesellschaft leisten zu können.“
„Nun ja“, sagte Olsunna freundlich. „Die Gesellschaft eines Patienten ist nicht immer angenehm. Flora wird die Aufgabe haben, dies auszugleichen. Nun aber schnell meine zweite Nachricht, die jedenfalls noch besser ist als die erste, wenigstens für mich: Ich fühle mich nämlich heute noch viel wohler als gestern. Dieser Trank von Doktor Sternau tut wirklich Wunder. Er besteht aus Dattelblüte, Coca und Quebracho, wie ich glaube. Ich fühle mich so munter, so stark und rüstig, daß ich eine längere Tour machen möchte, zu Fuß oder auch – zu Pferd, etwa von hier bis Petersburg, oder noch weiter.“
Es war rührend, den abgemagerten Mann diese Worte sagen zu hören. Floras Blicke hingen mit unendlicher Liebe an seinem Mund, und Otto ergriff seine Hand, drückte sie an seine Lippen und beteuerte mit vibrierender Stimme:
„Glauben Sie mir, ich danke Gott recht innig, daß er Sie von neuem hoffen läßt. Fast bin ich auf Freund Sternau eifersüchtig. Ich wollte auch, ich könnte einiges zu Ihrer Genesung beitragen.“
„Das können Sie ja“, antwortete der Herzog. „Eine angenehme Gesellschaft ist für den Kranken immer erquickend. Wenn meine Genesung mit solchen Riesenschritten vorwärtsschreitet, so darf ich sicher sein, daß Sternaus Voraussagung sich erfüllt, und ich in kurzer Zeit meine Reise antreten kann.“
„Könnte ich Sie begleiten!“ sagte Otto.
„Des Vaters wegen, ja. Verfügen Sie nicht frei über Ihre Zeit?“
„O doch! Es ist auch nicht allein des Vaters wegen. Es würde mir eine große Beruhigung sein, Sie während Ihrer Reise unter sorgsamen Augen zu wissen.“
„Ich danke Ihnen“, sagte Olsunna nachdenklich. „Vielleicht sprechen wir über diesen Punkt noch einmal ausführlicher. Aber, Flora, willst du nicht befehlen, daß man serviere?“
Flora klingelte, und der Diener trat ein.
Jetzt erst erkannte Otto, daß dieser so reich galonierte Domestik zu Flora gehöre. Ah! War sie so wohlhabend? Aber wie staunte er erst, als die Tafel gedeckt wurde, und sämtliche Geschirre von der feinsten getriebenen Silberarbeit waren. Dieses Porzellan war echt chinesisches, und dieses Silber war massiv, Tafeltuch und Servietten waren vom feinsten, teuersten, französischen Damast. Und dieses Geschirr war – er saß zu entfernt, um es genau erkennen zu können – mit einer Krone gezeichnet. Träumte er?
Der Diener lud ein, Platz zu nehmen. Als der Maler die Serviette entfaltete, hätte er sie vor Schreck fast fallen lassen. Sie war mit einer Herzogskrone gezeichnet, und darunter befand sich das Monogramm E.O.
Beide, der Herzog sowohl wie seine Tochter, sahen sein Erschrecken und weideten sich an demselben, ohne ein Wort zu verlieren.
Tausend Gedanken drangen auf ihn ein, und darunter war auch einer, der ihn beruhigte. Konnte der Vater der Geliebten nicht der Beamte
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