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45 - Waldröschen 04 - Verschollen

45 - Waldröschen 04 - Verschollen

Titel: 45 - Waldröschen 04 - Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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damit Sie sich notieren. Für seinen ‚Freund‘ gewähre ich nach ihm den ersten Tanz. Jetzt aber kommen Sie mit uns zum Großherzog, damit wir Sie den Herrschaften vorstellen.“
    Sie entfernten sich, und nun stand der Oberst allein bei seinen Offizieren. Er nahm das Taschentuch, wischte sich, tief aufatmend, den Schweiß von der Stirn und gestand:
    „Ich glaube, ich werde ohnmächtig! Mir ist weiß Gott gerade so, als ob ich eine Schlacht verloren hätte!“
    „Hm!“ brummte Branden, der Adjutant. „Dieser Helmers ist ein ausgezeichneter Schachspieler.“
    „Das heißt, ein guter Stratege oder Diplomat“, fügte Golzen hinzu.
    „Ich muß mich setzen!“ seufzte der Oberst.
    Er ging zu seiner Frau, um sich bei ihr Trost zu holen. Es bildeten sich jetzt einzelne Gruppen, doch das Gespräch aller drehte sich meist um Helmers und die ungeheure Lektion, welche dieser bürgerliche Leutnant dem Gardekorps gegeben hatte. Die Damen begeisterten sich für ihn. Er hatte bewiesen, daß er nicht nur ein schöner Mann, sondern überhaupt ein Mann im vollsten Sinn des Wortes sei. Die Herren begannen, ihn auch mit anderen Augen zu betrachten. Doch es sollte noch anders kommen. Die hohen Flügeltüren wurden aufgerissen, und es ertönte die laute Anmeldung:
    „Seine Majestät, der König.“
    Sofort schritt der Großherzog auf die Tür zu, um den hohen Gast zu empfangen. Dieser trat ein, und zwar an der Seite Bismarcks; der Kriegsminister und ein Kammerherr folgten. Der letztere trug einen Gegenstand in der Hand, welchen man bei näherem Hinblicken als ein Saffianetui erkannte.
    „Ich konnte mir nicht versagen, einige Minuten bei Euer Hoheit einzutreten“, meinte der hohe Herr zum Großherzog. „Lassen Sie Ihre Gäste sehen!“
    Bald waren die hervorragenden der anwesenden Herrschaften um die Majestät versammelt, während die anderen lauschten oder in leiser Unterredung von ferne standen.
    Branden, der Adjutant, schien nicht leicht schweigen zu können.
    „Der König, Bismarck und der Kriegsminister hier?“ sagte er. „Das ist eine große Auszeichnung für unser Regiment. Wir können stolz sein. Ah, seht ihr das Etui in der Hand des Kammerherrn? Ich lasse mich köpfen, wenn das nicht ein Orden ist; jedenfalls erhält ihn der Großherzog in dieser öffentlichen, doppelt ehrenden Weise. Seht, da zieht sich der Herzog von Olsunna mit dem Kriegsminister in die Fensternische zurück. Sie sprechen leise, ihre Mienen sind sehr ernst, und ihre Blicke treffen den Oberst. Meine Herren, ziehen wir uns ein wenig nach dem Obersten hin, es gibt etwas; ich kenne das! Man hat als Adjutant so seine Erfahrungen gemacht.“
    Er hatte recht, denn bereits nach kurzer Zeit kam der Kriegsminister langsam auf den Obersten zugeschritten. Dieser erhob sich ehrfurchtsvoll, als er den Stehenden bemerkte, und ging ihm einige Schritte entgegen.
    „Herr Oberst, haben Sie mein Handbillet betreffs des Leutnants Helmers empfangen?“ fragte die Exzellenz in einem nicht sehr freundlichen Ton.
    „Ich habe die Ehre gehabt“, lautete die Antwort.
    „Und es auch gelesen?“
    „Sofort, wie alles, was aus der Hand Euer Exzellenz kommt.“
    „So ist es zu bewundern, daß diese Zeilen gerade das Gegenteil des Erfolges bewirkten, den ich beabsichtigte. Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen den Leutnant dringend empfahl?“
    „Gewiß“, antwortete der Oberst.
    Er hätte in den Boden sinken mögen. Es war geradezu eine Unmöglichkeit, wegen eines einfachen, noch dazu bürgerlichen Leutnants solch Aufhebens zu machen. Er hätte sich lieber an die Spitze einer Sturmkolonne gestellt, als vor einem Examen zu stehen, das nur zu seinem Schaden ausfallen konnte.
    „Und dennoch erfahre ich, daß man ihn allerorts mit förmlich impertinenter Abweisung empfangen hat. Gar mancher hochgeborene Kopf ist hohl und steht nur aus Rücksicht auf seine Geburt in Reih und Glied. Der Leiter der militärischen Angelegenheiten ist stets erfreut, wenn er einen Mann findet, der brauchbar zu verwenden ist, und muß es um so schmerzlicher beklagen, wenn gerade solche Männer auf ungerechtfertigte, oftmals vielleicht sogar böswillige Schwierigkeiten stoßen. Ich erwarte mit aller Bestimmtheit, daß ich baldigst das Gegenteil von dem höre, was ich zu meinem Erstaunen gewahren muß!“
    Er drehte sich scharf auf dem Absatz herum und schritt davon, während der Oberst einige Augenblicke wie geistesabwesend stehenblieb und dann auf seinen Sitz zurückkehrte. Selbst wer die

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