45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Unterredung nicht vernommen hatte, mußte es ihm ansehen, daß er einen ganz ungewöhnlichen Verweis erhalten habe.
„Der ist für heute moralisch tot und physisch zerschmettert“, brummte der Adjutant. „Ich möchte nicht in seiner Haut stecken. Dieser Leutnant ist in unser Stilleben wie ein Teufel gefahren; wie eine Bombe unter uns hinein geplatzt, und nun fliegen einem die Stücke an den Kopf. Wo steckt er denn?“
„Dort am Spiegel. Bismarck spricht mit ihm“, antwortete Golzen.
„Bismarck? Bei Gott, es ist wahr. Welche Auszeichnung! Ich gäbe zwanzig Monatsgagen, wenn Bismarck mir nur einmal zunicken wollte, und dort steht dieser Helmers und plaudert mit dem Gewaltigen, als ob sie miteinander auf der Schulbank gesessen seien. Heiliger Himmel, da geht weiß Gott sogar der König auf ihn los. Nun wird es mir ganz schwirrend im Kopf!“
Die Anwesenden blickten mit Staunen nach der Stelle hin, an welcher der junge Mann stand, mit welchem die beiden Gewaltigen so herablassend sprachen. Man stand zu ferne, als daß man ein Wort hätte verstehen können, aber man sah an den wohlwollenden Zügen des Herrschers, daß es nur Ausdrücke der Güte waren.
Da winkte der König plötzlich dem Kammerherrn. Dieser trat in die Mitte des Saales und verkündigte mit lauter Stimme:
„Meine Herrschaften, ich gebe mir die Ehre, Ihnen im allerhöchsten Auftrag mitzuteilen, daß seine Majestät geruhen, den Herrn Leutnant Helmers zum Ritter der zweiten Klasse des roten Adlerordens zu ernennen, und zwar in Anbetracht der höchst wichtigen Dienste, welche er seit seiner so kurzen Anwesenheit bei uns dem Vaterland geleistet hat. Seine Majestät haben zugleich befohlen, dem genannten Herrn die Insignien des Ordens auszuhändigen, und behalten sich vor, das Weitere zu verfügen.“
Er öffnete das Etui, schritt auf Helmers, der bleich auf seinem Platz stand, zu und heftete ihm den Stern zu den anderen auf die Brust.
Es herrschte im Saal eine Stille wie in der Kirche. Welche Dienste waren das? In so kurzer Zeit geleistet! Sie mußten bedeutend sein, denn der rote Adlerorden hat vier Klassen. Dieser Leutnant wurde vom Glück ja förmlich überschüttet!
Diese Gedanken und noch verschiedene andere gingen durch die Herzen der Anwesenden. Es bildete sich um den glücklichen jungen Mann ein Kreis von Gratulanten, denen der König das Beispiel gab. Bismarck und der Kriegsminister folgten und verabschiedeten sich dann von den Herrschaften.
Nach dem Verschwinden der drei hohen Herren, denen natürlich der Kammerherr folgte, ließ man sich eher gehen, und ein lautes, vielstimmiges Summen zeugte von dem Eifer, mit welchem das Ereignis besprochen wurde. Bereits hatten alle höheren Offiziere Kurt gratuliert, und er stand gerade einige Augenblicke allein, da kam Röschen auf ihn zu.
„Lieber Kurt, welch eine freudige Überraschung!“ sagte sie mit leuchtenden Augen. „Hättest du an solche Huld gedacht?“
„Nie! Ich bin noch immer starr vor Erstaunen oder Entzücken“, gestand er aufrichtig. „Ich befinde mich beinahe wie in einem Traum.“
„Höre Kurt, der Dienst, von dem du allerdings bereits gestern sprachst, scheint ein ganz bedeutender zu sein, aber ich darf deine Diskretion nicht auf die Probe stellen; ich will dir lieber gratulieren, von Herzen gratulieren. Deine Feinde sind furchtbar beschämt, furchtbar gedemütigt worden. Du bist nicht allein mein Ritter, sondern Ritter von nun sechs Orden. Ich möchte den sehen, der sich zu dir in die Schranke wagt! Doch sage, wie steht es mit dem Duell? Hat der Oberst deine Forderung angenommen?“
„Nein, wie mir Platen berichtete.“
„Ja, was wird denn nun?“
„Man hat ein Ehrengericht gehalten und erklärt, daß ich nicht das Recht habe, Genugtuung zu fordern.“
„Woher weißt du das?“
„Platen war ja dabei. Er hat mir vor zehn Minuten das Protokoll eingehändigt, welches die Verhandlung und das Urteil enthält.“
„Wo hast du es? In der Tasche?“
„Ja.“
„Bitte zeige es mir, lieber Kurt. Ich möchte es sehr gern lesen.“
„Jetzt? In dieser Umgebung? Magst du nicht warten, bis wir nach Hause gekommen sind, liebes Röschen?“
„Nein. Diese Angelegenheit ist mir so außerordentlich interessant, daß ich nicht so lange warten mag. Übrigens mußt du bedenken, daß du mein Ritter bist, und als solcher hast du alle Wünsche deiner Dame genau und schnell zu erfüllen.“
„Nun wohl, hier ist es.“
Er gab ihr das Kuvert, in welchem die Abschrift
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