45 - Waldröschen 04 - Verschollen
wozu? Alle Teufel, sollte der Diebstahl entdeckt worden sein? Doch nein. Dann hätten die Spuren ja zu mir geführt und nicht zu ihm! Ist er begnadigt worden? Dann wäre es ja möglich, daß er dennoch Wort halten könnte. Ich werde dies abwarten müssen.“
Von Unruhe und Bangigkeit erfüllt, stieg er in sein Loch zurück und wartete. Dann, als ihm die Zeit zu lang wurde, schob er sich bis zum Eingang empor und lauschte hinter dem Stein, ob noch ein Geräusch sich hören lasse, von welchem darauf zu schließen sei, daß noch Leben in der Stadt herrsche. Er horchte, aber alles war ruhig. Er hätte gern einmal hinausgeblickt, aber er wußte ja, daß er allein den Stein nicht entfernen könne.
So verging eine lange, angstvolle Zeit. Schon gab der Harrende alle Hoffnung auf, als er plötzlich über sich ein Geräusch vernahm. Man arbeitete an dem Stein herum. Wer war das? War es der Henker oder war es der Graf? Der Gärtner fragte sich, ob er helfen solle oder nicht. Er beschloß es nicht zu tun. Kam der Henker, ihn zu holen, so hatte er jedenfalls jemand mitgebracht, der ihm helfen mußte, den Stein zu öffnen.
Da klopfte es einige Male vernehmlich von außen auf die Platte, und eine Stimme fragte:
„Bernardo, bist du da?“
Er konnte die Worte vernehmen, da der Sprechende den Mund nahe an den Stein legte.
„Ja, Señor“, antwortete er.
„Schieb von innen; allein bin ich zu schwach!“
Jetzt stemmte er sich mit aller Gewalt gegen die Platte, welche endlich wich.
„Gott sei Dank; ich dachte schon, es ginge nicht!“ flüsterte es draußen.
Nun war es leicht, das Hindernis ganz zur Seite zu schieben. Bernardo kroch hinaus.
„O Dios, was habe ich für Angst ausgestanden!“ sagte er. „Ich war in Eurem Loch, Don Ferdinande und fand es leer. Wo seid Ihr gewesen?“
„Ich wurde zum Sultan geholt; ich habe Außerordentliches erlebt, mein guter Bernardo.“
„Was?“
„Denke dir, der Sultan hat heute eine weiße, christliche Sklavin gekauft, welche eine fremde Sprache redete; darum schickte er zu mir, um zu sehen, ob ich sie verstehen könne. Und weißt du, wen ich in dieser Sklavin gefunden habe?“
„Nun?“
„Ein abermaliges Opfer dieses Landola, eine Landsmännin von mir, eine Mexikanerin, welche den echten Rodriganda kennt und auch jenen Doktor Sternau, von welchem nun auch ich sagen muß, daß er ein außerordentlicher Mensch ist, welcher es verdient, der Gemahl der Gräfin Rosa de Rodriganda y Sevilla zu sein.“
„Das ist erstaunlich, Señor!“
„Ja. Aber es ist jetzt nicht Zeit zum Erzählen, sondern wir müssen nur handeln.“
„Aber jene Dame, jene Mexikanerin? Was wird mit ihr? Lassen wir sie hier?“
„O nein. Wir nehmen sie mit. Denke dir, die Kamele stehen bereits gesattelt im Stall!“
„Im Stall? Ich denke –“
„Nichts, nichts hast du zu denken! Du wirst alles erfahren. Hast du dein Messer?“
„Ja. Aber ich glaube gar, Señor, daß Ihr ein neues Gewand tragt!“
„Ich bekam es vom Sultan. Aber das ist Nebensache. Es bleibt bei unserem gestrigen Entschluß: zuerst die Schildwache. Ich möchte den armen Teufel nicht ohne Not töten. Ich werde mich heranschleichen und ihn beim Hals nehmen, daß er nicht schreien kann. Während ich ihn halte, bindest du ihm Hände und Füße so, daß er sich nicht rühren kann und steckst ihm einen Zipfel seines Gewandes als Knebel in den Mund. Dann zum Sultan. Komm!“
Sie wälzten aus Vorsicht den Stein wieder auf das Loch und glitten dann nach dem Palast hin. Die Schildwache stand am Tor. Es war so dunkel, daß man kaum drei Schritte weit zu sehen vermochte. Es gelang den beiden, sich, auf der Erde kriechend, bis an den Mann heranzuschleichen. Dann erhob sich der Graf schnell, faßte ihn mit beiden Händen bei der Gurgel und drückte ihm dieselbe mit solcher Gewalt zu, daß ihm der Atem verging und er vor Todesangst den Mund weit aufsperrte. Im Nu hatte er den Knebel darin, und einige Augenblicke später war er stark gefesselt, daß er sich nicht zu rühren vermochte. Er wurde nach dem Schuppen getragen, in dem sich die Kamele befanden, welchen der Graf bereits die Sättel aufgelegt hatte, so daß man sie nur zu beladen oder zu besteigen brauchte.
Jetzt nun stand ihnen der Weg in das Haus offen.
Sie glitten vorsichtig durch den Eingang nach dem Audienzsaal, wo der Graf ein Messer von der Wand nahm, um für alle Fälle bewaffnet zu sein. Als er die Matte, welche die nächste Tür bildete, vorsichtig zurückschlug, fand er das
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