45 - Waldröschen 04 - Verschollen
mit eingelegten Griffen, welche sicher einen hohen Wert besaßen.
„Nun öffnen wir die anderen Kisten und Körbe, um zu sehen, wo sich das Geld befindet“, meinte Don Ferdinande. „Wir brauchen es.“
„Ich weiß alles liegen“, sagte Emma. „Er hat mir heute alle seine Schätze gezeigt.“
„Hat er Gold?“
„Ja. Dort der Kasten scheint voll zu ein.“
„Und Silber?“
„In den drei Kästen, welche daneben stehen. Er hat auch Juwelen und Geschmeide.“
„Ah, das ist noch besser“, meinte der Graf. „Es ist möglich, daß wir uns ein Schiff mieten oder gar kaufen müssen, um nach der Insel unserer Freunde zu gelangen, und da brauchen wir Geld, sehr viel Geld.“
Er nahm die Stricke von den bezeichneten Kästchen und fragte dabei:
„Wo befinden sich die Schmucksacken?“
„Hier im mittelsten Kasten befinden sich mehrere Kartons und Etuis, welche gefüllt sind.“
„Wir werden uns diese Sachen ansehen. Wir können sie mitnehmen, ohne uns als Diebe zu betrachten. Sechzehn Jahre Sklaverei für einen Grafen Rodriganda, dafür ist wohl keine Entschädigung groß genug, und wenn sie ein Königreich betrüge.“
Das Silber, das sie fanden, bestand meist in Mariatheresientalern und das Gold in spanischen Dublonen, englischen Guineen und französischen Napoleondors. Das Geschmeide aber repräsentierte einen Wert von mehreren Millionen, welche hier vergraben lagen, ohne irgendwelchen Nutzen zu bringen. Die Schmucksachen verlangten den geringsten Raum im Verhältnis zu ihrem Wert. Sie wurden alle mitgenommen. Von den Talern nahm der Graf nur so viel, als er unterwegs zu gebrauchen glaubte, da die Stämme, mit denen er in Berührung kam, nur diese Bezahlung annahmen. Das übrige konnte aus Geld bestehen.
Es waren genug Säckchen vorhanden, um das alles unterzubringen. Man legte diese Sachen alle auf einen Haufen kostbarer Decken und Teppiche, einige prachtvolle Pfeifen nebst Tabak hinzu, und dann trugen die beiden Männer alles nach dem Kamelschuppen, um es aufzuladen, während Emma bei dem Sultan Wache hielt.
Zu erwähnen ist noch, daß der Graf vor der Umkleidung natürlich den Schraubenschlüssel geholt hatte, um sich und dem Gefährten die Fesseln abzunehmen.
Das Fortschaffen der annektierten Gegenstände erforderte eine sehr lange Zeit, da die beiden Männer sehr vorsichtig sein und das leiseste Geräusch vermeiden mußten. Wasserschläuche und einige Säcke für Lebensmittel, welche unterwegs eingekauft werden sollten, mußten auch gesucht werden, und so war es bereits nach Mitternacht, als Emma hörte, daß man aufbrechen könne.
„Welche Gedanken wird der gute Sultan von Härrär jetzt haben“, sagte der Graf. „Er wird vor Grimm innerlich kochen. In seinen Augen sind wir natürlich die größten Räuber, und wehe uns, wenn er uns einholen sollte. Er würde uns an tausendfachen Qualen sterben lassen.“
„Ihr glaubt nicht, daß er uns einholt?“ fragte Emma ängstlich.
„Ich glaube es nicht, denn wir haben seine besten Kamele, die er nicht einholen wird, und sodann werden wir gegen Abend die Grenzen seines Reiches und seiner Macht hinter uns haben. Zwar ist es möglich, daß man uns ihn ausliefern könnte, aber wir werden uns einen Beschützer, ein Abban – ah, da kommt mir ein Gedanke!“
„Welcher?“ fragte der Gärtner.
„Wir brauchen einen Abban, und weißt du, wo wir den besten, den treuesten, den aufopferndsten finden werden?“
„Wo?“
„Im hiesigen Gefängnis.“
„Einen Gefangenen? Wird der uns beschützen können?“
„So lange er Gefangener ist, nein; aber wenn wir ihn befreien, so wird seine Dankbarkeit keine Grenzen kennen.“
„Aber haben wir auch Zeit dazu?“
„Wir brauchen nur eine halbe Stunde zu opfern. Komm, Bernardo! Die Señora mag einstweilen hier noch Wache halten!“
Es wurde Emma doch bange, als sie hörte, daß sie abermals allein bleiben sollte. Sie sagte:
„Ihr begebt euch vielleicht in Gefahr, Don Ferdinande!“
„O nein. So lange der Sultan schläft, darf sich auf dem Palastplatz kein Mensch sehen lassen. Wir sind vollständig sicher.“
„Aber ich nicht! Wie leicht kann jemand kommen und alles entdecken.“
„Du irrst, meine Tochter. Wir sind nicht in Spanien oder Mexiko. Die Bewohner des Palastes glauben, daß der Herrscher schläft. Es wird keiner wagen, seine Gemächer zu betreten und seine Ruhe zu stören, nicht einmal eine seiner Frauen. Ich kenne das hiesige Leben sehr genau und versichere dir, daß du keine Angst
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