45 - Waldröschen 04 - Verschollen
Emma und Karja, ihnen Nachricht zu bringen, was es da oben für eine so wichtige Unterredung gebe.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis sich nahende Schritte hören ließen. Die Tür wurde geöffnet, und Landola trat ein. Die Damen sahen ihn mit ängstlichem Erstaunen an. Er machte ihnen eine sehr höfliche Verbeugung und meldete:
„Señoritas, haben Sie die Güte mir zu folgen. Die Herren wollen gern mit Ihnen sprechen!“
Die beiden Mädchen kamen seiner Aufforderung ahnungslos nach. Er führte sie aus der Kajüte hinauf auf das finstere Verdeck, wo sofort zwei Männer zu ihnen traten und sie erfaßten. Als sie dabei einen Schrei des Schreckens ausstießen, gebot er ihnen Ruhe und sagte:
„Schweigen Sie! Sie haben lautlos das anzuhören, was ich Ihnen jetzt sage! Sie und die Männer, welche bei Ihnen sind, haben sich so feindselig gegen mich und meine Freunde benommen, daß ich mich Ihrer Personen versichern muß. Die Herren befinden sich bereits in meinem Gewahrsam, und auch Sie sind meine Gefangenen!“
„Mit welchem Recht?“ fragte Karja, die sich als gewandte Indianerin schnell faßte.
„Mit dem Recht des Stärkeren“, lachte er. „Ich weiß nicht, ob Sie mich kennen. Mein Name ist Landola.“
„Landola, der Seeräuber!“ hauchte Emma erschrocken.
„Ja, der Seeräuber“, antwortete er in rohem Stolz. „Es ist ein jeder Widerstand unnütz. Es soll den Damen nichts geschehen, ja, sie sollen sogar unter Aufsicht auf dem freien Deck promenieren dürfen, aber sobald Sie die geringste Miene machen, gegen meine Befehle zu handeln, töte ich die Señores. Sie werden diese während unserer Fahrt nicht zu sehen bekommen; sie liegen gefesselt unten im Raum, und ich werde ihnen sagen, daß sie sich allen Widerstandes zu enthalten haben, weil sonst die Señoritas getötet werden.“
„Und was soll unser Schicksal sein?“ fragte Karja sehr gefaßt.
„Ich werde Sie mit den Herren auf einer unbewohnten Insel aussetzen, damit mir niemand Schaden machen kann. Es wird Ihnen unterwegs nicht das mindeste geschehen, keiner meiner Leute wird Sie anrühren, aber ich verlange dafür einen unbedingten Gehorsam und alles Aufgeben eines Versuches der Flucht oder der Meuterei, der Sie nur unglücklich machen würde. Jetzt kommen Sie, ich werde Ihnen den Raum anweisen, welcher Ihnen als Aufenthaltsort dienen wird.“
Er führte sie durch die Fockmastluke hinab in einen engen, festen Verschlag, in welchem er sie einschloß. Sie fielen einander dort im Finstern in die Arme. Ein einziger Augenblick hatte sie vom Gipfel des Glückes wieder in eine grauenvolle Tiefe hinabgeworfen.
Jetzt nun begab sich der Pirat nach dem Raum zu seinen männlichen Gefangenen. Sie befanden sich nicht etwa in dem Güterraum, in welchem die Fracht aufgestapelt zu werden pflegt, sondern ganz unten auf dem unter dem Wasser liegenden Boden des Schiffes.
Es muß nämlich erwähnt werden, daß ein Schiff, selbst wenn es schwer beladen ist, Ballast mit sich führen muß. Dieser Ballast besteht in Steinen, Sand oder anderen schwerwiegenden Materialien, welche in dem tiefsten Raum aufgehäuft werden, damit das Schiff tief in das Wasser sinkt. Hat es keinen Ballast, so schwimmt es zu seicht, wankt herüber und hinüber, verliert den Halt und kann sehr leicht von Wind und Wogen umgeworfen werden. Vieles, wenn nicht gar das meiste Unglück zur See kommt davon her, daß man zu wenig Ballast eingenommen hat; das Fahrzeug folgt dann dem Steuer nicht exakt, wird durch den Druck der Segel hinten emporgehoben, bekommt einen wankenden Gang, gerade wie ein Betrunkener, und kann mit Mann und Maus in einem Augenblick untergehen, in welchem ein gut belastetes Schiff gerade die beste Fahrt machen würde. So verschwinden Fahrzeuge, von denen man nicht weiß, wohin sie gekommen sind, obgleich es keine Spur von einem gefährlichen Sturm oder Orkan gegeben hat.
Der betreffende Raum des gegenwärtigen Schiffes nun war bis zur Höhe von drei Ellen mit Sand gefüllt. Ein jedes, selbst das bestgebaute Holzschiff leckt, das heißt, es dringt ein ungefährlicher Teil Seewassers durch die Planken hindurch, und so kam es, daß dieser Sand eine nicht unbedeutende Menge Feuchtigkeit enthielt. In diesem nassen Sand lagen die Gefangenen. Es waren an die Rippen des Schiffes, an welchem die Planken befestigt sind, Ketten eingeschraubt, an welche man die Männer befestigt hatte, und zwar in solcher Entfernung, daß sie einander zwar hören, aber nicht erreichen konnten. Außerdem
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