46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Strecke weiter zurück folgte Juarez, welcher soeben mit Sternau in ein ernstes Gespräch vertieft war. Hinter ihnen die weißen Jäger und roten Indianer in einer langen, langen, schlangengleichen Gänsemarschlinie.
Man hatte den Reiter längst bemerkt.
„Wer mag es sein?“ hatte Juarez gefragt.
„Uff!“ rief ‚Bärenherz‘. „Der kleine Mann!“
Sternau blickte schärfer hin und stimmte bei.
„Ja, wirklich, es ist der ‚Kleine André‘, welchen sie nach Chihuahua sandten, Señor.“
„Was will er hier? Warum kommt er uns entgegen?“ fragte Juarez.
„Es muß etwas Wichtiges passiert sein.“
„Jedenfalls. Man wird es sogleich hören.“
Jetzt war der kleine Mann ganz nahe. Die Zunge hing seinem Pferd lang aus dem Maul, die Augen des Tieres waren mit Blut unterlaufen, es stöhnte wie eine Lokomotive und schnellte sich nur noch in einzelnen, konvulsivischen Stößen vorwärts. Da, ganz nahe vor Juarez tat es den letzten Satz.
„Um Gottes willen, herunter“, rief dieser.
Aber der ‚Kleine André‘ hatte den Sattel bereits verlassen. Er sprang mit unglaublicher Kühnheit seitwärts zur Erde, während sein Pferd sich überschlug und dann liegenblieb. Er zog kaltblütig seine Pistole und jagte dem zu Tode gehetzten Tier eine Kugel durch das brechende Auge.
„Was fällt Euch ein, Señor André?“ fragte der Präsident. „Das muß ja ein wahrer Höllenritt gewesen sein.“
„Allerdings, Señor“, antwortete der kleine Jäger. „Aber in einigen Minuten wird unsere ganze Truppe einen ähnlichen Ritt beginnen.“
„Wieso?“
„Señorita Emilia sendet mich. Vor neun Stunden ritt ich von ihr weg.“
„Unmöglich.“
„Seht mein Pferd an. Ich habe es zu Tode geritten.“
„So sagt den Grund.“
Die weißen Jäger hatten schnell einen Kreis gebildet, während die Indianer gleichmütig von weitem hielten.
„Kaiser Max hat ein Dekret erlassen, daß ein jeder Republikaner als Räuber zu behandeln und zu töten sei –“, sagte André.
Die Augen des Präsidenten leuchteten auf.
„Ist dies wahr?“ fragte er.
„Ja, Señor.“
„Das ist Wahnsinn. Er hat damit sein eigenes Todesurteil unterschrieben.“
„Aber zunächst dasjenige anderer Leute. Gestern kam nach Chihuahua der Befehl von Bazaine, alle gefangenen Republikaner zu töten –“
„Ah, sind Gefangen da?“ fragte Juarez schnell.
„Ja, vierzig Familienväter.“
„Weiter! Weiter!“
„Diese vierzig Familienväter sollen nächste Nacht zwei Uhr erschossen werden.“
„Mein Gott! Was ist da zu tun? Sie müssen gerettet werden! Aber wie? Die Zeit ist ja viel zu kurz.“
„Darum darf eben keine Zeit verloren werden, Señor Juarez“, sagte Sternau schnell. „Wollen Sie mir die Fragen und das Weitere überlassen?“
„Ja, gern.“
Da wendete Sternau sich an den ‚Kleinen André‘.
„Bitte kurze und bestimmte Antwort. Heute nacht zwei Uhr werden sie erschossen?“
„Ja.“
„Wo?“
„Vor der Stadt, am Fluß jedenfalls.“
„Wie lange seid Ihr geritten?“
„Neun Stunden.“
„So brauchen wir elf Stunden, wenn wir die Pferde nicht gerade tot reiten wollen. Wie viele Truppen kommen zur Exekution?“
„Eine Kompanie und außerdem sämtliche Offiziere.“
„Ah, das ist gut. Es geschieht im Geheimen?“
„Ja. Nur Señorita Emilia weiß es.“
„Sie ist's, die Euch gesandt hat?“
„Ja.“
„Wenn Ihr uns nun nicht zur rechten Zeit getroffen hättet?“
„Sie will warten bis Mitternacht, dann aber die Republikaner alarmieren.“
„Das würde ein großes Blutbad hervorbringen, denn diese guten Señores von Chihuahua scheinen keine großen Helden zu sein. Wie weit liegt unser Rendezvous von der Stadt?“
„Zwei Stunden.“
„Könnt Ihr den Ritt zurück aushalten?“
„Ja, Señor Sternau.“
„Gut! Hört, Señores, was ich Euch als das Beste, was zu tun ist, vorschlage.“
Sie drängten sich alle um ihn, und er begann:
„Zunächst muß Señorita Emilia schleunigst benachrichtigt werden, daß Hilfe kommt, damit sie keinen Stadtaufruhr erregt. Dann müssen die schnellsten unserer Reiter sich beeilen, noch vor zwei Uhr vor der Stadt anlagen, um die Exekution zu verhindern. Und dann kommen die anderen nach, um sich mit diesen zu vereinigen. Die Botschaft an die Señorita wird Señor André übernehmen, und weil sie so wichtig ist und ihm leicht etwas zustoßen kann, werde ich selbst ihn begleiten. Kennt mein Bruder ‚Bärenauge‘ Chihuahua?“
„Mein Auge kennt das ganze
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