46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
entgegen, welche sie an derselben Straße erreichten, in welcher gestern André ein- und ausgeritten war.
Dieser bog schweigend in die Seitengasse ein und Sternau folgte ihm.
„Hier links ist die Venta, in welcher ich abstieg, Señor“, flüsterte der kleine Mann.
„Und das Haus der Señorita?“
„Hier rechts, das hohe, breite Gebäude.“
„Man sieht kein Licht, doch lassen Sie uns eintreten.“
„Die Zimmer haben Läden, welche des Abends verschlossen zu werden scheinen.“
Es war sehr dunkel auf der Gasse. Die beiden Männer waren bisher keinem Menschen aufgefallen. Sie fanden das Tor des Hauses zugeklinkt, aber nicht verschlossen, und traten ein. Im Flur war es vollständig finster, aber ihr Eintritt wurde doch bemerkt, denn eine Stimme fragte:
„Wer kommt?“
„Wer ist da?“ erwiderte der kleine Jäger.
„Der Hausmeister.“
„Ich bin es, André.“
„Oh, Gott sei Dank, Señor. Wir haben mit Schmerzen auf Euch gewartet. Habt Ihr das Tor wieder zugemacht?“
„Ja.“
„So kann ich das Licht anbrennen. Ich habe, Euch erwartend, seit Anbruch des Abends hier gestanden und glaubte, Ihr würdet nicht kommen.“
„Ist die Señorita daheim?“
„Ja. Sie befindet sich in einer beinahe fieberhaften Aufregung.“
Jetzt flammte das Licht auf, und der Alte beleuchtete die beiden.
„Ah, noch ein Señor!“ sagte er. „Ich soll nur Euch bringen, Señor André.“
„Dieser Señor ist ein guter Freund. Er hat mit der Señorita zu sprechen.“
„So folgt mir nach oben.“
Er führte die beiden die Treppe empor. Als sie in das Vorzimmer traten, in welchem sich die Zofe befand, öffnete sich die gegenüberliegende Tür, und Emilia erschien in derselben. Sie hatte die Schritte vernommen, und ihre Ungeduld trieb sie, den Kommenden entgegen zu eilen.
André hatte Sternau den Vortritt gelassen, sie erblickte daher zunächst diesen letzteren nur. Als ihr Auge auf die hohe Gestalt mit dem männlichen schönen, ernsten Gesicht, und dem prächtigen, bis herab auf den Gürtel reichenden Bart fiel, blieb sie halb erstaunt und halb überwältigt stehen.
„Wer ist das?“ fragte sie. „Wer kommt? Ein Fremder!“
Sternau verbeugte sich leicht und antwortete:
„Ja, ein Fremder, Señorita, hier aber ist einer, welcher mich entschuldigen wird.“
Bei diesen Worten trat er zur Seite. Jetzt sah sie seinen Gefährten.
„Señor André!“ rief sie erfreut und tief aufatmend. „Willkommen, tausendmal willkommen. Tretet ein. Nur schnell herein zu mir.“
„Erlaubt zuvor, Euch diesen Herrn vorzustellen!“ sagte er. „Es ist Señor Sternau, von welchem ich Euch bereits gestern erzählt habe.“
„Señor Sternau? Ah, auch Ihr seid mir willkommen. Tretet ein.“
Sie führte die beiden Männer in das Zimmer, in welchem sie gestern André zweimal empfangen hatte. Dasselbe war viel heller erleuchtet als das Vorzimmer, und hier konnte man sich deutlich sehen.
Sternaus Auge ruhte bewundernd und wehmütig auf den beinahe unvergleichlichen Reizen dieses wunderschönen Mädchens. Sie aber erblickte ihn erst jetzt vollständig in seiner ganzen, mächtigen Erscheinung, welche durch die reiche, mexikanische Tracht hervorgehoben wurde. Die helle Bewunderung leuchtete aus ihren Augen, doch beherrschte sie sich bald und bat ruhig:
„Nehmt Platz, Señores, und sagt, welche Botschaft Ihr mir bringt.“
„Es ist eine gute“, antwortete André, um ihre Besorgnis sogleich mit einem Male zu zerstreuen.
„Gott sei Dank!“ sagte sie, die Hände zusammenschlagend. „Also Juarez kommt?“
„Ja.“
„Wann?“
„Jedenfalls noch vor der Exekution.“
„Hat er genug Leute bei sich?“
„Mehr als genug. Die Verurteilten sind gerettet.“
„Das haben Sie Euch zu verdanken, Señor André. Denkt Euch, welche Todesangst, welche Schrecken und Qualen diese Ärmsten ausgestanden haben und noch ausstehen. Sie wissen, daß sie dem sicheren Tod entgegengehen, daß es keine Rettung gibt, daß sie still und heimtückisch hingemordet werden, ohne ihre Angelegenheiten ordnen, ja, ohne die Ihrigen noch sehen zu können. Aber ist es auch sicher, daß die Rettung kommen wird?“
„So sicher, als ich mich hier bei Euch befinde.“
„Befand sich Juarez bereits auf dem Rendezvous?“
„Nein, ich mußte ihm entgegenreiten.“
„Wohl weit?“
„Es war eine ziemliche Strecke“, sagte der kleine Mann bescheiden.
Da aber ergriff Sternau, der noch nicht gesprochen hatte, das Wort:
„Ich muß Euch sagen, was unter
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