46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
Berthold war eingetreten. Er kam, um seinen Wirt kennenzulernen, und setzte sich in seiner Nähe nieder.
Jetzt erst bemerkte Pirnero die Anwesenheit seines Gastes. Er nickte grüßend und fragte:
„Wollt Ihr etwas trinken, Señor?“
„Was habt Ihr?“
„Alles, am meisten aber Julep.“
„So gebt mir ein Gläschen!“
Pirnero holte das Getränk und nahm dann seinen Platz wieder ein. Da er dabei dem Gast den Rücken zukehrte, so nahm dieser dies als ein Zeichen, daß der Wirt keine Lust habe, mit ihm zu sprechen. Er schwieg daher. Dies war aber keineswegs Pirneros Absicht, denn nach einer Weile sagte er:
„Ausgezeichnetes Wetter!“
„Sehr schön!“ antwortete Berthold lächelnd.
„Seit heute morgen!“
„Ja, gestern regnete es.“
„Und wie! Fast wie in Pirna, wenn es gießt!“
„Was? Ihr nennt den Namen Pirna?“ fragte der Doktor.
„Ja.“
„Kennt Ihr diese Stadt?“
„Das will ich meinen. Und Ihr?“
„Ich war öfters dort.“
„Von Wien aus?“
„Ah, Ihr wißt, daß ich ein Wiener bin.“
„Freilich!“
„Wer hat es Euch gesagt?“
„Der ‚Kleine André‘.“
„Ah, der kleine Jäger, den wir heute fingen! Ja, ich war einige Male in Pirna, um ärztliche Studien auf dem Sonnenstein zu machen.“
„Sapperlot, Señor, wolltet Ihr etwa verrückt werden?“
„Nein; das war nicht meine Absicht. Aber woher kennt Ihr Pirna?“
„Es ist meine Vaterstadt!“
„Zum Teufel, warum sprecht Ihr denn da nicht Deutsch, wenn Ihr aus Pirna seid?“
„Kennen denn die Wiener unser Pirnsches Deutsch?“
„Verstehen können wir es auf alle Fälle. Aber wie kommen Sie aus Sachsen hierher in dieses Land, Señor?“
„Das will ich Ihnen erklären. Wissen Sie vielleicht, was ein Diplomat ist?“
„Ich denke.“
„Und ein Politikus?“
„Ja.“
„Nun sehen Sie, ich hatte dazu die größten Anlagen; aber in Pirna fehlte das Feld, die Gelegenheit, meine Politesse an den Mann zu bringen. Ich wollte mein Licht leuchten lassen, und darum bin ich nach Mexiko gegangen.“
„Leuchtet es denn hier?“
„Das will ich meinen. Wenn Sie es jetzt noch nicht sehen sollten, so werden Sie es doch jedenfalls bald merken. Kennen Sie den Kaiser Max?“
„Ja.“
„Den Marschall Bazaine?“
„Ja.“
„Den Präsidenten Juarez?“
„Ja.“
„Nun sehen Sie, mit diesen Leuten beschäftige ich mich. Wäre ich aber in Pirna, so würden sie mich gar nichts angehen; ich wäre ein Spießbürger geblieben, schnupfte aus einer Birkendose und äße Pflaumenmus mit Kartoffeln. Für welchen nehmen Sie Partei?“
„Für keinen.“
„Sapperlot, ist das möglich?“
„Wie Sie sehen!“
„So sind Sie also kein Diplomatikus?“
„Nein.“
„Und kein Politikus?“
„Auch nicht.“
„Aber hören Sie, was soll denn da im ganzen Leben aus Ihnen werden? Sogar Nudelmüller und Breetenborn politisieren im Dorfbarbier, und Sie als Wiener wollen die Weltgeschichte mit Verachtung strafen? Aber, halt, jetzt fällt mir ein, was der Grund sein kann! Sind Sie verheiratet?“
„Nein.“
„Da hat man es! Habe ich es mir nicht gleich gedacht? Wer nicht heiratet, aus dem wird nichts Gescheites, nicht einmal ein Diplomat. Sie sind Doktor, wie ich höre?“
„Ja.“
„Was denn für einer? Doktor der Zahnzieherei oder der Medizin?“
„Der Medizin.“
„Da sollten Sie doch eigentlich wissen, daß es Bestimmung der Menschen ist, sich erstens zu verlieben und zweitens zu heiraten!“
„Das weiß ich allerdings.“
„Aber warum befolgen Sie es nicht selbst?“
„Bisher habe ich keine Zeit dazu gehabt.“
„Keine Zeit? Mein Gott, wie man nur so reden kann. Zum Verlieben gehört eine einzige Stunde und zum Verheiraten eine halbe, wenn der Pfarrer es kurz genug macht. Anderthalb Stunden werden Sie doch jedenfalls erübrigen können!“
Berthold wußte jetzt wirklich nicht, was er denken und sagen sollte; darum meinte er wenigstens, indem er seine Heiterkeit zu verbergen suchte:
„Ist es bei Ihnen so schnell gegangen?“
„Das versteht sich! Verlieben Sie sich in Mexiko; da geht alles sehr schnell. Werden Sie in diesem Land bleiben?“
„Wohl nicht.“
„Das ist schade!“
„Warum?“
„Weil Sie hier eine sehr gute Praxis finden würden. Wir haben nämlich keinen Arzt im Fort und ebensowenig in der Umgebung.“
„Gibt es hier häufig Krankheiten?“
„Freilich.“
„Welche?“
„Nun, vor sechs Jahren hatte ich einen Schwären, vor elf Jahren litt meine selige Frau an
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