46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
ihn ein Verbrechen zu begehen. Ich ging scheinbar darauf ein; aber ich schützte den Bedrohten und nahm dem Mörder zur Strafe sein ganzes Geld ab. Nun wollte ich ein ehrlicher Mann werden. Ich gab Mignon alles; sie aber betrog mich. Sie hatte einen vornehmen Herrn betört, den sie mir vorzog. Mit ihm verpraßte sie meinen Raub. Und als ich ihr drohte, sagte sie, daß sie mich anzeigen werde.“
„Was habt Ihr da getan? Sie getötet?“
„Nein“, antwortete er verächtlich.
„Oder ihn?“
„Nein. Ich bin gegangen und habe gearbeitet. Damals habe ich viel gelitten und gestritten und gekämpft; ich selbst war ja mein schlimmster Gegner. Aber ich hatte mir nun einmal vorgenommen, ein ehrlicher Mensch zu werden, und ich bin es geblieben, denn was ich einmal ernstlich will, das pflege ich auch durchzuführen. Aber in der Gesellschaft guter Leute ist mir erst das volle Bewußtsein meiner Sünden gekommen. Es hat mich hinausgetrieben, fort von der Heimat. Ich will sühnen und dann sterben.“
Es entstand eine lautlose Stille. In dem Auge des Mädchens stand eine Träne. War es eine Träne des Schmerzes, der Entsagung, oder lag in dem feuchten Glanz derselben ein Widerschein des Bibelwortes von dem bußfertigen Sünder, über welchem im Himmel mehr Freude ist, als über neunundneunzig Gerechte? Ein tiefer, tiefer Atemzug entquoll ihrer Brust; sie erhob das Auge voll zu ihm, sah ihm ernsthaft in das seinige und fragte dabei:
„Aber, Señor, warum erzählt Ihr denn mir dies alles?“
„Das will ich Euch sagen“, antwortete er. „Ich habe geglaubt, jene Mignon zu lieben, aber das war eine Täuschung. Ich ging nach Amerika; ich durchwanderte die Berge, die Wüsten und Savannen; ich wurde während der Zeit dieser langen Jahre ein Jäger, ein Scout (Wegweiser), der einen guten Namen hat. Die Einsamkeit ließ mich mein Herz erkennen, und als ich dann Euch erblickte, da wußte ich, was wahre Liebe sei. Ich konnte ohne Euren Anblick nicht mehr sein; es zog mich zu Euch, wie es den Gläubigen zu den Füßen der Madonna zieht. Aber als ich bemerkte, daß auch Euer Auge voll Teilnahme auf mir ruhte, da erwachte in mir das Bewußtsein meiner Pflicht. Ihr dürft Euer Herz nicht an einen Unwürdigen verschenken; darum habe ich Euch erzählt, was ich gewesen bin, damit Ihr mich verabscheuen lernen sollt. Und außerdem ist es mir gewesen, als ob ich jetzt zu meinem Beichtvater oder zu Gott selbst gesprochen habe: Wer seine Sünden bekennt und bereut, dem werden sie vergeben. Ich werde jetzt gehen und nicht wiederkehren. Ihr werdet von der Verunreinigung mit dem Verdammten bewahrt bleiben; aber ich bitte Euch über das, was ich Euch erzählt habe, zu schweigen, Ihr würdet sonst viele in Schaden bringen, denen ich jetzt nützlich bin. Ich müßte ja diese Gegend ganz verlassen.“
Er erhob sich und ergriff sein Gewehr. Er wollte gehen, ohne sein Glas ausgetrunken zu haben. Da stand sie auch auf. Ihr Antlitz war noch bleicher geworden als vorher. Sie sagte: „Señor, Ihr seid so außerordentlich aufrichtig gegen mich gewesen; seid es zum letzten Mal und sagt mir, ob Ihr ein Spion der Franzosen seid!“
„Nein, ich bin es nicht.“
„Darf ich dies wirklich glauben?“
„So, als ob Gott selbst es Euch gesagt hätte.“
„Und Ihr haltet Euch nicht zu den Franzosen?“
„Nein. Ich hasse den Kaiser, der nur durch Blut und Lüge regiert. Ich könnte ihn töten, ihn, der jetzt wieder einen wohlgesinnten, ehrlichen Fürsten in das Verderben führt, aber seine Zeit wird einst kommen! Ich stehe zu den Mexikanern, und ich liebe Juarez. Ist dies Euch genug, Señorita?“
„Ja, vollständig; ich bin beruhigt.“
„So lebt denn wohl!“
„Wollt Ihr wirklich gehen, Señor?“
„Ja.“
„Für immer?“
„Für immer von Euch, aber nicht von Guadeloupe. Man wird mich hier wiedersehen.“ Er senkte seinen Blick tief in den ihrigen; ihrer beider Augen standen voller Tränen. Es war ihm, als ob er jetzt seine Arme um sie schlingen dürfe, ohne sie zu beleidigen, als ob sie bereit sei, ihr Köpfchen an sein Herz zu legen, ohne sich vor ihm zu grauen; aber er beherrschte sich, er durfte ihr Schicksal nicht an das seinige ketten und ging.
Als er die Stube verlassen hatte, stand sie noch auf demselben Fleck, auf dem sie vor ihm gestanden hatte. Sie verbarg das Gesicht in beide Hände und brach in ein jähes Schluchzen aus, unter dem ihr ganzer Körper erbebte.
„Gerard heißt er“, sagte sie weinend. „Ja, er verdient
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