46 - Waldröschen 05 - Rebellen der Sierra
völlig unbekanntem Boden.“
„Sie wollen sagen, daß ich noch viel mehr Grund habe als Joseph, langsam vorzugehen, daß ich mich vor jeder Übereilung hüten solle?“
„So ähnlich. Ich denke an das Beispiel eines neuen Lehrers, der gleich am Tag seines Amtsantrittes reformieren will, ohne seine Schüler zu kennen.“
„Ich danke für diesen Vergleich!“ lächelte der Kaiser.
„Verzeihung!“ bat Mejia. „Aber sagten Majestät vorhin nicht selbst, daß es die heiligste Pflicht und die größte Wonne eines Herrschers sein müsse, der Lehrer, der Schulmeister seines Volkes sein zu müssen. Wir befinden uns in einem Land, dessen Boden vom Blut raucht; wir sind umgeben von einem Volk, welches gewalttätiger ist als jedes andere; wir stehen gesetzlos da, indem wir ja erst im Begriff sind, Gesetze zu schaffen. Christus zog in Jerusalem ein, und alles Volk schrie Hosianna; drei oder mehrere Tage später schlug man ihn an das Kreuz!“
Das war viel gewagt und gesagt von dem General. Es traf den Kaiser tief in das Herz. Er schritt langsam und schweigend weiter und sagte erst nach einer längeren Pause:
„Sie denken an das Hosianna meines Einzuges?“
„Ja, Majestät.“
„Nun, zweifeln Sie an der Wahrheit der damaligen Begeisterung?“
„Mit vollem Recht, Majestät.“
„Ah!“
„Wer hat Sie empfangen, Majestät? Die Bevölkerung? Nein. Die Franzosen? Ja, sie und ihre Geschöpfe. Die Rufe der Begeisterung waren gemacht, waren künstlich; ich weiß es genau. Glauben die Franzosen etwa, daß sie festen Fuß in Mexiko gefaßt haben? Da irren sie sich!“
„Das sagen Sie bei dem Militär, über welches Sie hier gebieten?“
„Gelang es Napoleon dem Ersten, Spanien zu erobern? Ebensowenig wird es seinem Neffen gelingen, Mexiko zu halten. Die Franzosen stehen nicht auf festem Boden, sondern auf einem sehr schlecht zusammengefügten Floß, welches jeden Augenblick zerschellen kann. Mexiko zählt hunderte von Kratern; auch das Volk ist ein Vulkan. Es gären unterirdische Kräfte in ihm; seine Eruptionen sind furchtbare. Und wenn Napoleon eine Million Zuaven und Turkos sendet, sie werden doch eines Tages in die Luft geschleudert werden!“
„Welch eine Perspektive!“ rief der Kaiser.
„Ich wage, an diese Perspektive zu denken, um Euer Majestät zu warnen, sich dem Mann an der Seine anzuvertrauen. Ein Herrscher von Mexiko darf nicht das Geschöpf eines anderen sein; er muß seine Kraft und Macht aus Mexiko selbst ziehen; er darf weder vertrauen, noch dichten und träumen; nicht das Land betreten mit liebevollen Plänen, sondern mit dem Säbel in der Faust. Der Mexikaner ist ein Feind der Ordnung: er spielt mit dem Widerstand und der Empörung; er gleicht dem halbwilden Tier, welches man nicht mit einem Zuckerbrot lockt, sondern mit dem Lasso niederreißt.“
Der General hatte sich in Eifer gesprochen; er sagte die reine, volle Wahrheit, von welcher er selbst durchdrungen war, und dabei vergaß er, seiner Ansicht jene Gewandung zu geben, welche man für notwendig hält, wenn man zu einem gekrönten Haupt spricht.
Der Kaiser schritt gesenkten Kopfes neben ihm her. Seine Miene war sehr ernst geworden, aber er sagte kein Wort, welches angedeutet hätte, daß er beleidigt sei. Mejia fuhr fort:
„Der Mexikaner haßt den Franzosen; es wird ihm unmöglich sein, den zu lieben, welchen der Franzose ihm zum Herrscher gibt.“
„General!“ sagte jetzt endlich Max in mahnendem Ton.
„Ah, Majestät, ich sollte die Wahrheit sagen!“
„Gut. Aber Sie sprachen vorhin von dem Geschöpf eines anderen!“
„Ich gebe zu, daß dieser Ausdruck nicht hoffähig ist, aber ich mußte mich seiner bedienen, um zu beweisen, daß er von anderen gebraucht wird.“
Da runzelte der Kaiser die Stirn. Er fragte:
„Wer sind die anderen?“
„Erstens die Mexikaner – – –“
„Ah, erstens! Aber zweitens?“
„Die Herren Franzosen selbst.“
„Unmöglich!“
Der Kaiser sprach dieses Wort im Ton des ehrlichsten Zweifels aus. Mejia aber antwortete:
„Unmöglich? Majestät, ich habe dieses Wort gehört, zehnmal, hundertmal; ich garantiere mit meinem Ehrenwort dafür!“
„Auch von den Franzosen?“
„Ja; von hohen Offizieren!“
„Mein Gott!“
Max legte die Hände zusammen und sah nach oben. Mejia bemerkte dies. Seine Lippen preßten sich zusammen, seine Stirn wurde finster. Er sagte:
„Ich wollte, ich wäre Kaiser!“
„Ah, warum?“
„Dann würde ich Mejia bitten, mir zu sagen, was ich tun
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