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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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wenn sie Glück hatten.
    Oishi nickte und fand es plötzlich schwer, dem Mann in die Augen zu schauen, den er immer für unterlegen gehalten hatte. Jetzt erkannte er, wie viel Schwäche dieser Mann in ihm gefunden hatte. Er schwor sich, dass er nicht versagen würde. Er hätte es auch Kai geschworen, wenn er geglaubt hätte, dass dieser ihm glauben würde.
    Bevor er genauer nachfragen konnte, wohin Kai ging oder was er tun wollte, ging dieser schon auf den geflügelten Fudō zu. Das Halbblut ging zwischen den Reihen singender Mönche hindurch, verschwand in den Schatten hinter der Statue und ließ Oishi ganz allein in einer Höhle voller gut bewaffneter Dämonen zurück.

16
    Kai folgte einem weiteren Tunnel, der ihm noch bestens vertraut war. Er führte in das Allerheiligste des Tempels, wo Sojobo, der Fürst und Hohepriester der
tengu
-Mönche – einst auch sein Fürst und Pflegevater – die meiste Zeit in einsamer Meditation verbrachte.
    Kai blieb kurz hinter dem Eingang des inneren Altarbereichs stehen. Das Schwert seines früheren Meisters stand am äußersten Rand des Vorsprungs, der den Meditationsbereich bildete, auf seiner Spitze. Es balancierte gewagt auf der Kante über dem darunterliegenden Abgrund. Er wusste, dass die Klinge des Schwertes scharf genug war, um Stein zu zerschneiden. Außerdem war sie so fein geschliffen, dass sie ein Haar der Länge nach spalten konnte. Der wellenförmig verzierte Stahl war so spiegelglatt poliert, dass er das Licht aus seiner Umgebung scheinbar aufsog.
    Der feste Untergrund des inneren Altarbereichs maß nur wenige Schritte. Dahinter öffnete sich eine noch größere Höhle, deren Ausmaße seine Vorstellungskraft schon immer überstiegen hatten. Ihre Höhe, Tiefe und die weit auseinanderliegenden Wände blieben in der Dunkelheit verborgen. Das Geräusch von fließendem Wasser ließ ihn einen Blick zur Seite werfen. Irgendwo über dem Vorsprung, auf dem er stand, stürzte ein unterirdischer Fluss über eine Kante in die Schwärze hinein. Die Nähe des Flusses und dessen scheinbar endloser Fall in die Tiefe unter ihm erweckte eine längst vergessene Mischung aus Ehrfurcht und Entsetzen in ihm. In dem Hohlraum unter seinen Füßen hallte der gedämpfte Donner des Flusses wider.
    Kai schaute zurück zu dem Schwert und spürte den unerwarteten Schmerz eines viel vertrauteren Gefühls: das Verlangen, ein solches Schwert wieder selbst in der Hand zu halten. Er wollte seine perfekte Balance und seine Bewegung spüren, wenn er einen gegen ihn geführten Schlag abwehrte, als sei es eine eigenständige Verlängerung seines Körpers. Er konnte mit seinem Geschick alle Gegner, auch die
tengu
. Alle, bis auf einen …
    »Der verängstigte Junge kehrt also als Mann zurück …«, sagte die Stimme des Einen aus den Schatten hinter ihm.
    Kai hielt den Atem an. Instinktiv hätte er beinahe einen Sprung nach vorn gemacht, um das Schwert zu ergreifen und sich zu verteidigen. Doch bevor sein Körper sich bewegen konnte, erstarrte er, denn er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an die Warnung, die er Oishi mit auf den Weg gegeben hatte … ihm fiel ein, dass hier drinnen ganz andere Regeln herrschten als in der Außenwelt: Hier war nichts so, wie es schien – einschließlich des Sprechers, dessen Stimme er gerade gehört hatte.
    Er drehte sich um und sah den
tengu
-Fürsten an, der vor ihm stand. Wie erwartet wirkte dieser steinalt, doch der Anblick trog. Gekleidet war er in Roben, die wie Priesterroben geschnitten waren, deren Stoff aber eines Hof haltenden Shoguns würdig gewesen wäre.
Der Älteste hatte schon immer einen ungebührlichen Hang zur Eitelkeit gehabt
.
    Über den Roben, die deutlich machten, dass er aufgrund seiner körperlichen und geistigen Kraft ein Fürst unter seinesgleichen war, sah Kai das Gesicht, an das er sich viel besser erinnerte als an die übertriebene Art, sich zu kleiden.
    Die greifvogelartigen Gesichtszüge wirkten weniger verstörend und außerweltlich als die seiner Jünger in der großen Kammer. Doch die unheilvollen goldenen Augen mit den Pupillen, die so lang und scharf waren wie Schwertklingen, hatten sich nicht verändert. Diese Augen kannten keine Gnade. Kai sah hinein und konnte dem Blick nicht standhalten. Sie hatten in ihm schon immer Angst und hilflosen Zorn geweckt und ließen ihn jetzt wieder zu einem Kind werden.
    Nicht
… Kai erstickte seine Angst. Sein ehemaliger Pflegevater spürte alles, das durch ein menschliches Gehirn flüsterte,

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