47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
erzählen. Die Liebe einer Nacht, die dich in diese Welt brachte. Ein englischer Seemann und ein Bauernmädchen, das an ein Bordell verkauft worden war …« Er hielt inne, beobachtete Kai und schätzte dessen Reaktion ab. »Nicht lange danach überließ deine liebende Mutter dich diesen Wäldern … ihr Monster von einem Mischlingskind.«
Kai riss die Augen auf, und seine Konzentration löste sich auf wie Nebel. Er war seinem Meister wehrlos ausgeliefert, der einen Schlag gegen den Kern seines Wesens führte … sein lebenslanges Verlangen, zu wissen, wer er war oder was ihm einst vorbestimmt gewesen war.
»Doch wir fanden dich«, fuhr Sojobo fort. Seine Stimme war beinahe tröstend, ein Tonfall, den Kai noch nie gehört hatte. »Nahmen dich auf. Bildeten dich aus. Wir haben dir vieles beigebracht …« Seine Augen und seine Stimme waren plötzlich wieder mitleidlos. »Doch du bist geflohen und hast diesen Geschenken den Rücken gekehrt.«
»Geschenke des Todes«, erklärte Kai angewidert. Seine Hände verkrampften sich. Welche Beweggründe die
tengu
auch gehabt hatten, ihn aufzunehmen, sie waren nicht von den Gefühlen geleitet, nach denen er so verzweifelt in den Augen anderer gesucht hatte. Sojobo hatte ihn früher schon über die Menschen angelogen. Wie konnte er sicher sein, dass dies nicht eine weitere Lüge war? Hatte er sich bereits in einer selbstgelegten Schlinge gefangen?
In der Haupthöhle wandte Oishi sich von dem starrenden Gesicht Fudōs ab. Er erschrak, weil es sich anhörte, als beträten seine Männer hinter ihm die Höhle, und wachte aus seiner Starre auf.
»Was macht ihr hier?« Er starrte sie an und war plötzlich wütend. Dabei ging er langsam zum Eingang. Er hatte ihnen gesagt – ja,
befohlen
– draußen zu bleiben. Doch keiner hatte ihm gehorcht, nicht einmal Chikara.
Verflucht sei der Junge! Würde er denn nie lernen, Befehlen zu gehorchen, wenn er sich schon nicht um die Besorgnis seines Vaters scherte?
»Wir sollten gehen!«, sagte Yasuno ärgerlich und zeigte auf ihn, als wäre er derjenige, der Befehle missachtete, und nicht alle anderen.
»Nicht …« Oishi hob seine Hände und versuchte, sie einerseits zum Schweigen zu bringen und andererseits davon abzuhalten, weiter hereinzukommen.
Doch es war, als würden sie ihn überhaupt nicht sehen: Sie starrten alle an ihm vorbei auf … etwas und waren vor Grauen verstummt.
Oishi erkannte, dass der Singsang hinter ihm aufgehört hatte. Er wandte sich um und sah, dass die Mönche ihre ausgemergelten Köpfe gehoben hatten. Sie schauten zornig über ihre Schultern hinweg auf die Eindringlinge, als würden gnadenlose Falkenaugen auf einfallende Nagetiere starren.
Eine ganze Weile herrschte angespanntes Schweigen zwischen den beiden Gruppen, dann begannen die
tengu
plötzlich alle gleichzeitig zu zittern. Ihre Körper vibrierten durch die unglaubliche Energie, die Oishi gespürt hatte, als er sich zwischen ihnen hindurchbewegt hatte.
Er schaute in verzweifelter Sorge zu seinen Männern – und sah, wie Yasuno nach seinem Schwert griff.
»Nein!«
Doch es war zu spät. Yasuno zog sein Schwert.
Die Körper der
tengus
brachen auf, und ihre gestaltwandelnden Geistformen erhoben sich aus den Hüllen der betenden Mönche. Wütend zischend flogen die Dämonen auf die Gruppe fassungsloser Ronin zu und griffen mit klauenbewehrten Fingern nach ihren Schwertern.
Oishi beobachtete verzweifelt, wie diejenigen seiner Männer, die bewaffnet waren, ihre Schwerter zogen oder ihre Speere erhoben, um sich zu wehren. Sie gingen voran, während die anderen mit schweren Stöcken oder bloßen Fäusten nach den Dämonen schlugen.
Zu seinem Erstaunen kämpften sie gut, besser, als er es erwartet hätte, und schlugen den Ansturm zurück. Dabei entwaffneten sie die
tengu
-Angreifer oder machten sie kampfunfähig. Doch sie waren zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen, und der Kampf verteilte sich. Dabei wurden die Männer immer weiter von dem Tunnel weggelockt, der doch ihr einziger Fluchtweg war.
Er schrie sie an, die Reihen zu schließen und sich zurückzuziehen, zum Ausgang zu gehen und zuzusehen, dass sie hinauskamen … Doch es war, als wäre er plötzlich stumm oder unsichtbar geworden: Durch ihren aufgestauten Kampfeshunger getrieben wateten seine Männer immer tiefer in das Dämonenmeer. Die Schwerter, die die
tengu
verloren, schwebten weiterhin in der Luft. Einige davon trieben auf ihn zu, als flehten sie darum, von einer anderen Hand geführt zu
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