47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
tödlichen Umarmung des Winters umfing. Er nahm Fürst Asanos
tantō
aus seiner Scheide, hielt ihn in den Händen und starrte darauf. Sein Geist war gleichzeitig zu voll und zu leer.
Die Sterne, die früher am Abend noch am Himmel zu sehen gewesen waren, versteckten sich jetzt hinter den Wolken, und die ersten Schneeflocken wirbelten wie die Asche eines verglühten Feuers um ihn herum ... wie die fallenden Blätter der Kirschblüten im Frühlingswind.
»Der Weg des Samurai ist der Weg des Todes.«
Er hatte das sein Leben lang gehört, aber nie wirklich verstanden ...
Er hatte immer geglaubt, wenn er ehrenvoll lebte und eines Tages ehrenvoll starb, würde er wieder in diese Welt geboren, so sicher wie die Kirschblüten im Frühling zurückkehrten. Dieser Gedanke war für ihn immer tröstlich gewesen. Doch wenn der Sinn der Wiedergeburt darin lag, in jeder neuen Lebenszeit neue Lektionen zu lernen, bis die Seele erleuchtet und von allen weltlichen Beschränkungen befreit wurde, wie passte es dann ins Bild, zu sterben, bevor man die Lektionen des Lebens gelernt hatte?
Er hatte Gedichte gelesen und sogar selbst geschrieben, die Samurai mit Kirschblüten verglichen, die im Frühling – am Anfang ihres Lebens – den Höhepunkt ihres Ruhms erreichten, für eine kurze, aber wunderschöne Zeit lebten und dann viel zu früh fielen.
Ein schöner Tod
, wurde das genannt. Jetzt wurde ihm klar, dass er die Wahrheit hinter diesen Worten nie wirklich begriffen hatte. Er hatte nie Erfahrungen gemacht, die ihn ernsthaft zum Nachdenken darüber bewogen hatten, bis er Fürst Asanos
sepukku
beigewohnt hatte.
Worte waren nur ein Schleier aus feiner Seide, der eine hässliche Narbe verhüllte, dachte er, so wie der schwere Geruch eines Räucherstäbchens die Erinnerungen an auf dem Schlachtfeld verrottende Leichen überdeckte, während man Gebete für die Toten murmelte.
Den Tod mit fallendem Schnee zu vergleichen, kam der Wahrheit viel näher, obwohl auch dieses unbarmherzige Versprechen des Vergessens viel zu rein war, verglichen mit den blutigen Erinnerungen an den Tod seines Fürsten, oder an das, was er an diesem Abend miterlebt hatte.
Seine Vorfahren waren echte Krieger gewesen. Er war nur ein schwerttragender Bürokrat, der zu viele Kriegsspiele gespielt hatte – genau wie all die selbsternannten »Experten«, die noch nicht einmal geboren waren, als das Zeitalter der Kriege geendet hatte, und deren Bücher über
bushidō
er immer verehrt hatte.
Er sah von dem Dolch in seinen Händen auf, als er Schritte hinter sich hörte, und sah Kai, der über das Feld auf ihn zukam.
Natürlich
. Er presste die Lippen zusammen.
Fürst Asanos oberster Fährtenleser würde ihn, wenn er das wollte, auch dann finden, wenn er sich ins Meer warf
...
Oishi sah wieder auf den Dolch hinunter und fragte sich, was das Halbblut hier wollte, weigerte sich aber, seine Anwesenheit nach außen hin zur Kenntnis zu nehmen.
Kai blieb neben ihm stehen und sagte nichts. Scheinbar stellte er sich dieselbe Frage in Bezug auf Oishi. Er schaute die Klinge in Oishis Händen mit mehr als nur flüchtiger Neugier an. Schließlich hockte er sich auf den gefrorenen Boden, als wolle er Oishi dazu zwingen, ihm in die Augen zu sehen.
Oishi hielt seinen Kopf gesenkt und sagte schließlich: »Ich hätte an Fürst Asanos Todestag handeln sollen. Unser Zorn hätte plötzlich und schnell kommen müssen, auch wenn wir versagt hätten, wäre es doch ehrenvoll gewesen.«
Oishi spürte in jeder Faser seines Körpers die Trauer und das Mitgefühl, die von Kai ausgingen. Doch er konnte sich noch immer nicht dazu durchringen, hochzuschauen, und murmelte: »Jetzt sind meine Männer vergebens gestorben.«
Eine ganze Weile war das Halbblut still. Geräuschlos fiel Schnee auf die beiden herab, blieb auf ihrer Haut liegen und bedeckte ihre Wunden und die blutgetränkten, zerschlissenen Kleider mit Lügen. Er verdeckte die Spuren ihrer Niederlage und sogar die sie umgebende Trostlosigkeit und Verwahrlosung, die Überreste einer lange zurückliegenden Kapitulation waren. Schließlich sagte Kai einfach und ohne Vorwurf: »Ihr seid ein Samurai.«
Aufgeschreckt von diesen Worten sah Oishi schließlich hoch. Er war mehr als überrascht von den Gefühlen, die sie bei ihm hervorriefen.
Ein Samurai sollte jederzeit auf den Tod vorbereitet sein. Das war Teil seiner Pflicht als Krieger. Eine sichere Niederlage gehörte nicht dazu
. Wie hätte der Tod während eines übereilten, sinnlosen
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