47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
trat zur Seite und ließ Chikara vorbei. Dann schloss er die Tür, um den kalten Windzug auszusperren.
Oishis Blick wanderte von Bashō zu all den anderen noch verbliebenen Ronin, die um ihn herum lagen. Die meisten ertrugen schweigend die Schmerzen ihrer Wunden und Verbrennungen, einige stöhnten leise, andere waren bewusstlos. Der Ausdruck auf seinem Gesicht wandelte sich von Mitleid zu Trauer und dann zu tiefer Schuld. Kai hatte diesen Ausdruck noch nie gesehen. Es war, als wäre Oishi und nicht Kira für jede Verletzung und jeden Toten verantwortlich. Kai schaute wieder nach unten, weil er spürte, dass er kurz davor stand, die Fassung zu verlieren. Er konzentrierte sich darauf, noch mehr Salbe auf Bashōs blasenübersäte Haut aufzutragen und dabei so vorsichtig und sanft wie möglich zu sein. Er wünschte, er hätte Bashō nur ein wenig der Schmerzen abnehmen können, um dessen Leiden zu lindern und sich von seiner eigenen Hilflosigkeit abzulenken.
Er hatte sich sein ganzes Leben lang einen wahren Freund gewünscht, jemanden, der ihn als gleichwertig ansah und aus freien Stücken Vertrauen, Ergebenheit und Freundschaftsgesten erwiderte. Erst jetzt, als es zu spät war, erkannte er, dass es auch bei Freundschaften – wie bei allem anderen, das die Menschen und das Leben definierte – Licht und Schatten gab.
Wenn man nie jemanden als Freund bezeichnen konnte, blieb es einem erspart, etwas Seltenes und Unersetzliches wie Freundschaft zu verlieren, wenn das große Rad des Lebens sich weiterdrehte und die Leben jedes Einzelnen aus dem Gleichgewicht brachte ...
Bashō streckte seine Hand aus und ergriff seine. Kai schaute hoch, und in seinen Augen stand eine Entschuldigung, weil er fürchtete, seine Versuche, Bashōs Schmerzen zu lindern, hätten diesem noch mehr wehgetan. Doch Bashōs Hand hielt seine fest, als klammere er sich verzweifelt an eine Rettungsleine am Ende der Welt, und Kai erkannte, dass Bashō nicht beabsichtigt hatte, ihn aufzuhalten ... sondern, dass er etwas – jemanden – brauchte, an dem er sich festhalten konnte. Er wollte die Wärme menschlicher Nähe spüren und sich selbst beweisen, dass er in einer Zeit wie dieser nicht allein war.
Kai hielt Bashōs Hand und legte seine andere Hand darüber, um ihn seine Nähe spüren zu lassen und dem Mann, der sich wie ein Kind an ihn klammerte, deutlich zu machen, dass er in diesem Moment für jemanden das Wichtigste auf der Welt war.
Aus dem Augenwinkel sah Kai, wie Yasuno sich auf seinen Knien aufrichtete und schweigend über seinen Freund wachte, weil er nicht mehr tun konnte. Vollkommen verblüfft schaute er auf Bashōs Hand und auf Kais Hände, die sie festhielten, doch ohne Neid oder Groll. Erleichterung und absolut selbstlose Dankbarkeit spiegelten sich auf seinem Gesicht, als zähle für ihn nur die Tatsache, dass jemand da war, der die Bedürfnisse seines Freundes befriedigen konnte.
»Weißt du, was ich mir jetzt mehr als alles andere im Leben wünsche?«, flüsterte Bashō und öffnete plötzlich die Augen. Kai schaute ihn wortlos an und wartete, während Bashōs Gesicht nachdenklich wurde und seine Augen einen abwesenden Ausdruck annahmen. Dann legte sich ein letztes Grinsen auf seine Lippen. »Ein wenig frische Luft.«
Das Licht erlosch in seinen Augen, als hätte jemand eine Flamme erstickt, und sie starrten ins Leere. Schließlich streckte Kai widerwillig seine Hand aus und schloss die Augenlider, denn es gab keine Geheimnisse mehr, die die beiden hätten teilen können.
Kai hob den Kopf und sah Yasuno an, um zu bestätigen, dass Bashōs Leiden vorüber war. Doch Yasuno schaute bereits auf Bashō. Man musste es ihm nicht mehr sagen. Der stoische Ausdruck eines Samurai war von seinem Gesicht verschwunden, und nur die Trauer eines Freundes, dem das Herz brach, blieb zurück.
Kai sah noch einmal nach unten und ließ Bashōs Hand so sanft los, wie er sie die ganze Zeit gehalten hatte. Dann stand er langsam auf und ging davon, damit Yasuno ungestört seine Abschiedsgebete für seinen Freund sprechen konnte.
Kai sah Oishi, der noch immer an der Tür stand und alle mit einer tiefen Traurigkeit beobachtete, die sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verändert hatte. Er wandte sein Gesicht ab, als Kai stehenblieb und ihn anschaute. Dann öffnete Oishi die Tür gerade weit genug, um hinauszuschlüpfen und schloss sie leise hinter sich.
Oishi kniete im verwelkten Gras eines leeren Feldes und lauschte dem klagenden Wind, der ihn mit der
Weitere Kostenlose Bücher