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47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)

Titel: 47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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endlich wieder atmen konnte.
    Seine Füße wurden taub, und er ging weiter. Dann schlug er einen scheinbar zwanglosen Bogen um das Bauernhaus und die Nebengebäude, wo die Wachen mit angstvollen Augen das sich allmählich heller werdende Land beobachteten. Er sah Chikara, der sich allein an einen Feldrain gekauert hatte und durch ein Fernrohr in den flammenden Sonnenaufgang spähte.
    Kai ging auf ihn zu und fragte sich, wie es dem Jungen nach letzter Nacht ging – und was er da machte: Ob er wirklich versuchte, zu erblinden, indem er durch ein Fernrohr in die Sonne schaute, oder ob es etwas am Horizont zu sehen gab.
    Chikara hörte ihn kommen und sah auf. Sein angespannter Ausdruck wurde zu Erleichterung, als er sah, dass es Kai war und nicht – so nahm Kai an – sein Vater.
    »Was seht ihr Euch an?«, fragte Kai.
    Er hatte versucht, die Frage beiläufig klingen zu lassen, aber seit gestern schien Chikara in allem eine Doppeldeutigkeit zu finden. Der junge Ronin zwang sich zu einem Lächeln, als er aufsah. »Ich sehe Gold auf dem Sonnenaufgang. Das muss ein gutes Zeichen sein.« Er bot Kai das Fernrohr an.
    Kai lächelte zurück und hob das Fernrohr, um die Sonne zu betrachten. Zu seiner Überraschung war am Horizont wirklich ein ungewöhnlicher Goldstreif zu sehen. Er senkte das Fernrohr und spähte stirnrunzelnd mit einer Mischung aus Neugier und Besorgnis auf dieselbe Stelle. Dann hob er erneut das Fernrohr ans Auge. Er widmete seine ganze Aufmerksamkeit der goldenen Linie und diesmal konnte er in der Entfernung die Umrisse von Gestalten ausmachen, die Banner trugen. Doch es waren keine Männer in Rüstungen, wie er befürchtet hatte. Die seltsame Prozession geisterhafter Gestalten mit im Sonnenlicht glitzernden Bannern war etwas vollkommen anderes. Belustigung und plötzliche Eingebung ließen sein Lächeln zurückkehren.
    Er gab das Fernrohr Chikara mit einem dankenden Nicken zurück und ging los, um Oishi zu suchen.

    Einige Stunden später hatte Kai einen viel besseren Blick auf die Prozession, die er am Horizont gesehen hatte. Er wartete versteckt zwischen den Bäumen mit Oishi und einer Gruppe Ronin, die fit genug waren, um mitzukommen. Die Truppe Wanderschauspieler näherte sich ihrem Versteck. Er erschrak, als er ihren Anführer erkannte: Es war Kawatake, dessen Schauspieler und Musiker an jenem schicksalhaften Tag des Turniers auf Burg Ako eine Vorstellung gegeben hatten.
    Er stieß Oishi an, der neben ihm kauerte. Oishi nickte, und sein Lächeln hätte auf dem Gesicht eines Gottes liegen können, der amüsiert das improvisierte
Kabuki
der menschlichen Existenz beobachtete.
    Soweit es Kai betraf, hatten die Götter nichts damit zu tun. Dieses Stück gehörte ganz allein den
tengu
. Als er die Truppe kurz nach Sonnenaufgang durch das Fernrohr gesehen hatte, war ihm eine Geschichte, die er von den
tengu
gehört hatte, wieder eingefallen ... aus längst vergangener Zeit, bevor sie sich der Religion zugewandt hatten. Einst waren sie einfach nur boshafte, gewalttätige Gauner gewesen. Eine Gruppe von ihnen war als Wanderschauspieler verkleidet in eine Burg eingedrungen. Sie hatten ihm nie erzählt, warum, oder welche Absichten sie gehabt hatten. Sie schienen einfach nur stolz darauf gewesen zu sein, dieses Ziel erreicht zu haben, obwohl man ihnen am Ende auf die Schliche gekommen war und sie gezwungen gewesen waren, zu verschwinden.
    Er schaute wieder auf die heranziehende Truppe Unterhaltungskünstler. Wenn die Ronin sie dazu bringen konnten, mit ihnen zusammenzuarbeiten, dann würde die Geschichte diesmal ein anderes Ende nehmen – auf die eine oder andere Weise.
    Kawatake ging voraus, und die Schauspieler, von denen die meisten in farbenfrohen Kostümen steckten und einige Banner trugen, erfüllten ihre Umgebung mit einem Fest für die Sinne. Im Vorüberziehen gaben Sänger Auszüge legendärer Geschichten zum Besten, Musiker spielten Flöte und woben Melodien durch die rhythmischen Schläge kleiner Trommeln, und Schauspieler probten Teile eines vorgetäuschten Duells oder formelle Tanzschritte.
    Kai beobachtete fasziniert, wie die Truppe sogar während der Reise Proben und Werbung für ihre Fähigkeiten geschickt miteinander verbanden und dabei andere Reisende oder Stadtbewohner unterhielten. Gleichzeitig lenkten sie sich damit von der Langeweile ihrer schier endlosen Reise ab. Er wusste, dass die gesellschaftliche Stellung der Schauspieler kaum besser war als seine eigene. Außerdem waren ihre

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