47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
lebendes Symbol ihrer Gunst gebührte ihm ein Ehrenplatz an der Spitze der Gesellschaft.
Sie entdeckte Kawatake, der allein vor allen anderen Mitgliedern des Ensembles tanzte. Sie erkannte seine Grazie und die kontrollierten ausladenden Gesten wieder, obwohl er eine traditionelle Dämonenmaske trug. Er tanzte und nahm dramatische Posen ein, als sei er dazu geboren worden, die überlebensgroßen Götter und legendären Helden darzustellen, um die sich
Nō
-Dramen drehten.
Vielleicht war er das
, dachte sie. Sie war immer mehr geneigt, zu glauben, dass das Schicksal ihrer aller Leben bestimmte, gleichgültig wie sehr sie sich bemühten, dagegen anzukämpfen.
Sie wandte ihren Blick von den Schauspielern ab und ließ sie ruhelos durch die Arena streifen. Nun da die erste Aufregung verflogen war, war sie des Herumstehens und Wartens, bis die Gäste ihre Plätze eingenommen hatten, ebenso müde wie der Vorbereitungen und Detailfragen. Sie teilte die wohlverdiente Befriedigung ihres Vaters beim Anblick der Samurai von Ako, deren neue Rüstungen nur unterstrichen, dass sie stolze und noble Männer waren. Das erinnerte sie an den einzigen Mann, den sie heute nicht sehen würde. Den Mann, der es wahrhaft verdiente, Ako heute auf dem Feld zu vertreten.
Sie sah zu der Tribüne hinüber, auf der Oishis Offiziere saßen, und entdeckte Hazama, Isogai und Hara. Sie versuchte, sich vorzustellen, dass Kai unter ihnen war und die edle Rüstung mit dem Asano-Wappen trug, und fühlte sich sofort niedergeschlagen. Dann blieb ihr Blick plötzlich an dem Mann hängen, den die anderen »Bashō« nannten. Als er ihren Blick bemerkte, lächelte er und zwinkerte ihr zu, was sie aus ihrer Trübsal riss.
Sie lächelte zurück, weil sie an ihre erste Begegnung denken musste.
Mika erinnerte sich, wie sie als Kind todtraurig zwischen den leuchtendroten Ahornblättern auf dem Steinboden im Burghof gesessen hatte, bis sie nicht mehr wusste, wo ihr Kimono aufhörte und die Welt anfing. Sie saß da und weinte, wie sie es bereits seit Tagen getan hatte. Das Zureden und Flehen ihrer Kinderfrauen ignorierte sie und war überzeugt, dass ihre Tränen niemals versiegen, ihr Schmerz niemals enden würde. Sie war acht Jahre alt, als ihre Mutter starb. Ihr Vater war tief in seiner Trauer versunken und hatte sich in seine Gemächer zurückgezogen, ohne daran zu denken, dass seine Tochter ihn brauchte.
Dann war der Krieger namens Bashō vorbeigekommen. Er hatte ausgesehen wie alle anderen grimmigen, abweisenden Offiziere ihres Vaters – bis auf seine Größe und die Tatsache, dass er auf dem Kopf eine Kapuze aus weißem Stoff trug, weil er noch bis vor Kurzem in einem Kloster gelebt hatte und von Kriegermönchen trainiert worden war. Das machte ihn nur noch furchteinflößender.
Aber anders als die anderen hatte Bashō sie bemerkt, wie sie dort schluchzend auf den Blättern saß. Er war stehengeblieben und beobachtete sie. Nach einem langen Moment hatte er sich ihr genähert, sich tief verbeugt und gesagt: »Madame Mika, Ihr seid die Tochter eines
daimyō
und genauso tapfer wie ein Krieger. Würdet Ihr gerne eine Weile mit mir an der inneren Burgmauer Wache stehen?«
Sie hatte erschrocken nach oben geblickt und war so überrascht, dass sie Schluckauf bekam und sich die Hand vor den Mund schlug. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, das sich ausbreitete, bis der Junge vom Vorschein kam, der er eigentlich war. Sie war ebenso überrascht von seinem Lächeln wie darüber, dass er mit ihr sprach ... und dazu vollkommen verblüfft über seine Bitte. Sie konnte sich nicht erinnern, was sie geantwortet hatte, weil sie zwischen Trauer und Erstaunen gefangen gewesen war. Aber irgendwie war sie doch die Stufen zum Ausguck der Wachposten auf der hohen Mauer hinaufgeklettert, während ihre Kinderfrauen hinter ihr herflatterten wie aufgeregte Gänse.
Als sie zum ersten Mal oben auf der Mauer stand, hatte sie aus einer völlig neuen Perspektive über Ako geblickt, über seine Felder und Wälder, seine Flüsse und den Himmel. Die starke Meeresbrise, die ihr durchs Haar fuhr, gab ihr das Gefühl, als würde sie fliegen, während Bashō ihr die Reisfelder und Dörfer der Bauern zeigte, die Bäume an den Berghängen anhand ihrer Herbstfarben bestimmte und ihr sogar das Meer zeigte. Ihr war gar nicht bewusst gewesen, dass es so nah war.
Dann hatte er ihre Aufmerksamkeit auf den Himmel gelenkt. Als er noch im Kloster gelebt hatte, erzählte er, hatte er oft im Gras
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