47 - Waldröschen 06 - Am Teich der Krokodile
schon der Mann, dem Waldröschen etwas zu schenken. Ich solle die Sachen nur aufheben.“
„Nun, war das nicht eine Hoffnung, welche ich dir machte?“
„Ja, das war eine, und zwar eine unendlich reiche und große. Aber da du Mama und den Hauptmann belauscht hast, so mußt du wohl auch gehört haben, was die erstere dem letzteren antwortete.“
„Das möchtest du wohl gern hören?“ fragte sie lächelnd.
„Ja, denn es ist die Hauptsache.“
„Nun, sie sagte, sie stelle alles dem guten Gott anheim; dieser wisse am besten, was ihrem Waldröschen zum wahren Frieden diene.“
Da legte Kurt die beiden Hände zusammen, als ob er beten wolle.
„Das sagte sie wirklich? Gewiß und wahrhaftig?“ fragte er.
„Ja, lieber Kurt. Es war mir, als ob ich Mama um Millionen Male lieber haben müßte als vorher, wenn dies überhaupt möglich wäre. Ich habe vor Freuden geweint lange, lange Zeit.“
„Gott segne deine Mama viele tausend, tausend Male!“
„Ja, ja, das möge er tun, sie ist es wert. Nun aber will ich eilen, dir einen Talisman auszusuchen.“
Sie schickte sich an, sich zu entfernen. Er aber hielt sie zurück.
„Rosita“, sagte er, „glaubst du wirklich, daß ich dich so von mir lasse?“
„Wie denn?“
„Ohne einen Kuß.“
Sie lächelte ihn schelmisch an und fragte:
„Ist ein Kuß denn so sehr notwendig?“
Er machte ein höchst ernsthaftes Gesicht und antwortete zuversichtlich:
„Ganz außerordentlich notwendig!“
„Warum?“
„Das Gesetzbuch der Liebe schreibt es vor.“
„Wirklich? In welchem Paragraphen?“
„In jedem Paragraphen.“
„Das ist unmöglich!“
„Unmöglich? O nein. Steht nicht bei jedem unserer zehn Gebote: ‚Wir sollen Gott fürchten und lieben?‘ Und beginnt nicht eine jede Sure des Koran mit den Worten: ‚Im Namen des allbarmherzigen Gottes?‘ So steht auch im Gesetzbuch der Liebe über jedem Paragraphen: ‚Im Namen eures Glückes! Ihr sollt euch bei jeder Gelegenheit einen Kuß geben!‘“
„Hm. Als ob das Küssen etwas so Schönes wäre!“
„Meinst du das Gegenteil, Röschen?“
„Ja.“
„Warum?“
„Weißt du noch damals, als die Rede von der alten Tante war?“
„Ah! Mit der großen Nase und den Warzen darauf.“
„Du sagtest selbst, daß man solche Tanten nicht gern küsse.“
„Aber du bist ja keine solche alte, häßliche Tante?“
„Oh, ich werde vielleicht einmal eine.“
„Aber sicher keine häßliche. Und jetzt bist du sie noch gar nicht.“
„Du meinst also, daß –“
Sie hielt inne, als ob sie bereits zuviel gesagt hätte.
„Daß man dir schon einen Kuß geben darf?“ fragte er.
„Ja.“
„Das ist allerdings meine Ansicht.“
„Hm. Wir wollen dennoch tun, als ob ich eine alte Tante sei.“
„O weh, da soll ich wohl auf den Kuß verzichten?“
„Ja, außer du denkst einmal, daß du ein alter Onkel seist.“
Da stieß er ein herzliches Lachen aus und meinte:
„Onkel und Tante dürfen sich dann küssen?“
„Natürlich! Aber fein sittsam und dezent, wie ein paar Alte aus der Zeit des Großen Kurfürsten.“
„Nun, ich weiß zwar nicht, wie man sich damals geküßt hat, aber vielleicht läßt es sich bei einiger Übung lernen.“
Er zog das schöne Mädchen an sich, hob sein Köpfchen in die Höhe und legte seinen Mund auf deren Lippen. Er küßte es wieder und immer wieder und bemerkte vor Glück gar nicht, daß die Tür geöffnet wurde, bis die Stimme des alten Hauptmanns erschallte:
„Kreuzmillionenschockhagelwetter! Was habt ihr euch denn da an den Mäulern herumzubeißen und herumzuknaupeln!“
Sie fuhren erschrocken auseinander. Der Alte trat ein und machte die Tür vorsichtig hinter sich zu.
„Habe ich euch endlich einmal erwischt, ihr Schwerenöter?“ fragte er grimmig. „Kerl, weißt du nicht, daß das eine Prinzessin von Olsunna und Rodriganda ist?“
„Ja, das weiß ich“, antwortete Kurt ruhig.
„Und du, was bist denn du? He?“
„Ein Offizier und Ehrenmann.“
„Das ist auch etwas Rechtes.“
„Herr Hauptmann!“
Kurt war einen Schritt zurückgetreten und hatte das Wort mit beinahe donnernder Stimme ausgesprochen.
„Was beliebt?“ fragte der Alte verwundert.
„Ich lasse mich in Gegenwart dieser Dame nicht beleidigen.“
Seine Augen funkelten, und an dem Ton seiner Stimme ließ sich erkennen, daß es ihm sehr ernst mit seinen Worten war. Der Alte wurde schüchtern. Er schnalzte mit den Fingern und sagte:
„Nicht beleidigen? Schön. Da schnäbelt nur
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