48 - Die Fehde von Antares
konnte. Warum sollte etwas, das mit mir nicht in Ordnung war, Worthing so ängstigen?
Er schluckte und wechselte bemüht das Thema. »Diese ... äh ... Kunst der Pulverherstellung, Mr. Prescot, ist die gefährlich?«
»Und ob, wenn man dabei nicht so gewissenhaft wie eine Nonne vorgeht.«
Das mußte Worthing erst einmal verdauen, während bei mir das letzte Zwicken des Schmerzes verschwand. Er sah über das Schanzkleid. Ich folgte seinem Blick. Der sich mir bietende Anblick ließ mich die Stirn runzeln. Seltsam. Der vertraute Horizont, die an einen Fries erinnernde Silhouette der Gebäude auf dem Werftgelände, beides sah irgendwie zusammengeschrumpft aus. Aus den Schornsteinen stieg Rauch, und an dem Ort, den ich als begrenzten Kreis beschrieben hätte, wimmelte es vor Aktivität. Aber das mit dem Kreis war völliger Unsinn. Wir befanden uns im Herzen einer mächtigen Seekriegsmaschinerie, die sich völlig dem Kampf gegen die verbrecherischen Revolutionäre verschrieben hatte, einer Nation von Jean Crapauds, die von dem korsischen Banditen angeführt wurde.
Der Arzt hustete, ein kaum wahrnehmbarer Laut. »Ich weiß Ihre Rücksichtnahme mir gegenüber zu schätzen, Mr. Prescot. Schildern Sie mir doch einmal ganz genau, wie man mit dieser Gefahr umgehen muß.«
Verflixt! Seine Unwissenheit konnte einen wirklich zur Verzweiflung treiben. Er mußte sich doch durch seinen Dienst in der Navy oder seinen Jagdaktivitäten mit Pulver auskennen. Oder etwa nicht? Gerade Leute vom Land, falls er tatsächlich daher stammte, waren berüchtigt für ihre Jagdleidenschaft.
Ein Schmerz durchzuckte mich; er war vergleichsweise unbedeutend, etwa so, als würde eine zwölfpfündige Kanonenkugel durch meinem Kopf rollen statt eine zweiunddreißigpfündige. Ich hatte dem seltsamen kleinen Arzt nichts von dem Gesicht erzählt, das ich in meinen Träumen zu erkennen versuchte, weil ich das Gefühl hatte, es würde ganz tief in meinem Inneren zu mir gehören. Ah, dieses Gesicht und dieser Körper! Verhüllt von rosigen Nebeln quälten sie mich. Ich wußte, daß ich alles in der Welt dafür geben würde, um die Arme ausstrecken zu können und mir die Erleichterung zu verschaffen, nach der ich mich verzehrte. Ich verstand das nicht, aber irgendwie wußte ich, daß es für mich nichts Wichtigeres gab – nicht einmal mein Leben.
Wer war die Geheimnisvolle, die mich so quälte, diese unerreichbare Dame, für die ich fraglos freudig mein Leben gegeben hätte?
In den letzten Tagen hatte alles um mich herum der Realität entrückt gewirkt; das war zugegeben eine außerordentlich närrische Vorstellung, aber ich fühlte dunkel, daß mehr Wahrheit dahintersteckte, als mir bewußt war. Doktor Worthing litt offensichtlich unter einer verborgenen Sorge. Doch eines mußte man dem Mann lassen: Trotz der ganzen Unruhe, die in ihm gärte, befleißigte er sich tadelloser Manieren. Er blieb höflich, auch wenn ihm sein übertriebenes Interesse an Schießpulver und Kanonen keine Ruhe ließ. Es war verdammt merkwürdig.
Ich warf ihm einen schnellen Blick zu. Seine starrenden Augen flößten mir noch immer Unbehagen ein. Sein blasses und ständig angespanntes Gesicht machte jetzt einen deutlich abgezehrten Eindruck. Überrascht erkannte ich, daß der Mann mit seinen Kräften völlig am Ende war und die Erschöpfung nur noch durch reine Willenskraft zurückhielt.
Ich wußte nicht, warum er mir leid tat. Aber es war so.
Ein Bursche wie ich, der sich seinen Weg vom Vordeck zum Achterdeck erkämpft hatte, konnte sich nur selten oder gar keine Zeit dafür nehmen, für jemanden Mitleid zu empfinden. Mein Leben war von schweren Rückschlägen geprägt, und es war ein harter Kampf, allein den Kopf über Wasser zu halten, hatte man mir doch die Beförderung immer wieder vorenthalten.
Trotzdem berührten mich die Erschöpfung und Erregung des kleinen Schiffsarztes. Er vermittelte nun den deutlichen Eindruck eines Mannes, der von einem schrecklichen Schicksal eingeholt wird, dem er vergeblich zu entkommen versucht hat.
Um uns herum wurden die Routinearbeiten erledigt, die das Anlegen im Hafen mit sich bringen. Diese Dinge waren ein so vertrauter Teil meines Lebens, daß ich sie nur dann bewußt wahrnahm, wenn etwas Unerwünschtes geschah. Dann verwandelte ich mich wie jeder Schiffsoffizier zu einem Teufel in Menschengestalt.
Ich ließ den Blick über die Backbord-Karronaden des Achterdecks streifen, stutzte und sah zu dem ersten Vierundzwanzigpfünder
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