48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko
einen Beinamen hat. Der eine erhält ihn infolge irgend eines Vorzuges, der andere infolge eines Fehlers. Mein größter Vorzug nun ist meine Nase. Ist es da zu verwundern, daß mich die verteufelten Kerls Geiernase oder Geierschnabel genannt haben?“
Der General wußte noch immer nicht, wie er diesen eigentümlichen Menschen zu taxieren habe. Er ging zur Hauptsache über, indem er fragte:
„Also ein Präriejäger sind Sie?“
„Ja.“
„Haben Sie sich stets bloß mit der Jagd allein beschäftigt?“
„Nicht ganz allein.“
„Womit noch?“
„Ich habe nebenbei auch noch gegessen, getrunken, geschlafen, die Hosen ausgebessert, Tabak gekaut und verschiedenes andere mehr.“
„Mille tonnerres! Wollen Sie sich etwa einen Spaß mit mir machen?“
„Nein.“
„Das will ich Ihnen auch nicht geraten haben! Kennen Sie Juarez?“
„Ja. Sehr gut sogar.“
„Persönlich?“
„Natürlich!“
„Haben Sie unter ihm gefochten?“
„Nein, sondern geschossen.“
„Das ist gleich. Sie haben uns gegenüber gestanden?“
„Den Franzosen? Ja. Ich ihnen und sie mir.“
„Sie haben Franzosen getötet?“
„Das ist möglich. Während des Gefechtes kann man nicht hinter jeder Kugel herlaufen, um zu sehen, ob sie trifft.“
„Waren Sie im Gefecht von Cena Sonores?“
„Ja.“
„Kennen Sie diese Männer?“
Der General zeigte auf die drei Soldaten, welche als Zeugen reserviert worden waren. Geierschnabel sah sie an und antwortete:
„Ja, die kenne ich.“
„Von woher?“
„Ich habe sie vorhin draußen auf dem Feld gesehen.“
„Vorher nicht?“
„Kann mich nicht besinnen! Ist mir auch ganz und gar egal.“
„Diese drei Männer haben Sie bei Cena Sonores gesehen.“
„Das ist möglich.“
„Sie behaupten, daß Ihre Kugeln sehr gut getroffen haben!“
„So? Das freut mich! Für einen alten Jäger ist es verdammt ärgerlich, zu erfahren, daß er nur ins Blaue geschossen hat.“
„Scherzen Sie nicht“, rief der General in ernstem Ton. „Es handelt sich hier um Leben und Tod!“
Geierschnabel machte ein erstauntes Gesicht und fragte: „Um Leben und Tod! Wieso denn?“
„Sehen Sie das nicht von selbst ein?“
„Nein.“
„Dann sind Sie um Ihres mangelhaften Fassungsvermögens zu bedauern. Sie sind überführt, Franzosen erschossen zu haben.“
„Ich hoffe es!“
„Sie sind also Mörder.“
„Mörder?“ fragte Geierschnabel rasch.
„Ja. Und mit Mördern pflegt man kurzen Prozeß zu machen.“
„Ja, man gibt ihnen eine Kugel oder den Strick“, nickte Geierschnabel. „Aber wer will mir nachweisen, daß ich ein Mörder bin?“
„Es ist bereits nachgewiesen.“
„Oho! Ich bin Kombattant, aber kein Mörder. Jetzt geht mir ein Licht auf. Diese drei Kerls haben mich im Gefecht gesehen und hier wieder erkannt und angezeigt.“
„So ist es. Ein kaiserliches Dekret befiehlt, jeden Empörer zu erschießen.“
„Empörer? Pchtichchchchch!“
Er spuckte gerade an dem General vorüber nach dem Tisch, wo der braune Saft ein brennendes Wachslicht auslöschte.
„Ich ein Empörer?“ wiederholte er. „Herr General, wollen Sie die Güte haben, dieses Schriftstück zu lesen?“
Er zog einige Dokumente aus der Tasche und reichte eines davon dem Offizier hin. Dieser las und sagte dann:
„Ah! Sie wären also Dragonerkapitän? Vereinigter-Staaten-Offizier?“
„Ja. Das kann man nämlich werden, trotzdem man eine lange Nase hat.“
Der General tat, als habe er diese letztere Bemerkung gar nicht vernommen und sagte:
„Das kann Sie doch nicht retten. Sie haben sich einer mexikanischen Bande beigesellt.“
„Bande? Ist das Heer des Juarez eine Bande? Hier! Ich bitte, auch dieses zu lesen!“
Er gab ein zweites Schriftstück hin, und der General nahm Einsicht davon, meinte aber achselzuckend:
„Ihr von Juarez ausgefertigtes Patent als Kapitän der freiwilligen Jäger.“
„Ja, freilich. Ich traf mit Juarez zusammen; er konnte mich brauchen, und da sein Weg zufälligerweise auch der meinige war, so schloß ich mich ihm an und erhielt den Befehl über eine Jägerkompanie.“
„Sie sind also Deserteur?“
„Wer sagt das?“
„Ich! Sie haben unter Juarez gefochten, trotzdem Sie Offizier der Vereinigten Staaten sind.“
„Das nennen Sie Deserteur? Selbst wenn ich desertiere, ist dies nur Sache des Präsidenten, aber nicht eines Franzosen. Ich habe unbestimmten Urlaub; ich habe vom Präsidenten die Erlaubnis, unter Juarez zu fechten. Ich bin weder Deserteur, noch
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