48 - Waldröschen 07 - Der Kaiser von Mexiko
eine Vorsehung glaubt, der wird sehr oft die Erfahrung machen, daß der Lenker der Ereignisse die Fäden derselben gerade dann zusammenzieht, wenn man es am allerwenigsten erwartet, und wenn die Hoffnung darauf verschwinden will. – – –
Im Fort Guadeloupe ging es jetzt recht einsam zu. Die Comanchen hatten wiederholt recht beherzigungswerte Lehren erhalten, und infolgedessen hatten ihre Häuptlinge beschlossen, sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Weißen zu mischen. So hatte das Fort nichts mehr von ihnen zu befürchten. Die Apachen hielten für Juarez die Grenzdistrikte besetzt, und die Jäger und kriegsfähigen Männer, welche sonst im Fort verkehrt hatten, waren alle auch dem Zapoteken gefolgt. Darum also gab es kein Leben mehr im Fort, und die Langeweile war als böser Gast nun eingekehrt.
Es war am Spätnachmittag. Resedilla saß an dem Fenster der Schankstube, an welchem sie ihren gewohnten Platz hatte, und strickte. Sie war etwas bleich geworden, aber diese Blässe gab ihr etwas ungemein Sanftes und Liebes. Der Grund ihres schönen Auges schien sich vertieft zu haben, und um ihre Lippen lag ein Zug stiller Ergebenheit und Resignation, welcher sie nicht so lebensfroh, aber fast noch schöner, noch weiblicher erscheinen ließ, als sie früher gewesen war.
An dem anderen Fenster saß Pirnero. Er hatte ein Buch in der Hand, aber er las nicht in demselben, sondern seine Augen schweiften hinaus, wo die Sonne sich dem Horizont näherte. Auch er hatte sich verändert. Es war fast, als ob sein Kopf kahler geworden sei. Seine Stirne lag in Falten: seine Lippen waren zusammengepreßt, und seine Augen blickten finster.
Es herrschte eine tiefe, unerquickliche Stille in der Stube, die keins von den beiden unterbrechen zu wollen schien.
Endlich, endlich räusperte sich der Alte.
„Hm!“ machte er. „Miserables Wetter!“
Resedilla antwortete nicht.
„Ganz miserables Wetter!“ wiederholte er nach einer Weile.
Sie antwortete jetzt ebenso wenig als vorher.
„Nun?“ rief er da im zornigen Ton.
„Was, Vater?“ fragte sie jetzt.
„Miserables Wetter!“
„Es ist ja ganz schön draußen!“
Da drehte er das Gesicht nach ihr herum, blickte sie so erstaunt an, als ob sie etwas ganz und gar Unbegreifliches gesagt hätte, und fragte sie in pikiertem Ton:
„Wie? Was? Schön soll das sein?“
„Natürlich, Vater!“
„Wieso denn, he?“
„Nun, so blicke doch nur hinaus!“
„Das habe ich bereits den ganzen Tag getan; aber etwas Schönes sehe ich nicht. Da ist die Sonne, da sind Bäume und Sträucher, der Fluß, einige Häuser und Vögel, aber Menschen sehe ich nicht. Oder siehst du etwa welche?“
„Ja“, lächelte sie.
„Wo denn?“
„Nun, zunächst sind ja wir beide da –“
„Wir beide? Das ist auch was Rechtes!“
„Und sodann sehe ich gerade jetzt drüben die Lydia.“
„Die Lydia? Die alte Negerin, welche dort Wäsche aufhängt? Wir zwei und die? Sind das etwa Menschen?“
„Ich denke doch!“
„Unsinn!“
„Nun, was verstehst du denn eigentlich unter Menschen?“
„Leute, welche bei mir einkehren und einen Julep trinken oder im Laden irgend etwas kaufen, Leute, mit denen man sich unterhalten kann, Leute, mit denen man ein Geschäft macht.“
„Ah so! Dann hast du recht, dann allerdings gibt es hier bei uns keine Menschen mehr“, sagte sie, fast traurig.
„Ja, keine Menschen, keinen einzigen, nicht einmal einen Schwiegersohn.“
Er blickte sie bei diesen Worten scharf an. Sie senkte das Gesicht, über welches sich eine tiefe Röte verbreitete, aber sie antwortete nicht.
„Nun?“ sagte er.
„Was?“ fragte sie.
„Was sagst du zu diesem Wort?“
„Zu welchem?“ erkundigte sie sich, obgleich sie ganz genau wußte, welches er meinte.
„Zu dem Wort Schwiegersohn?“
„Rechnest du so einen auch zu den Menschen?“ versuchte sie zu scherzen.
„Na und ob! Ein Schwiegersohn ist ein höchst bedeutungsvoller Mensch. Ohne ihn gibt es keinen Schwiegervater, keine Schwiegermutter und keine Schwiegertochter. Wo er fehlt, da gibt es weder Großvater, noch Enkel, da gibt es weder Hochzeit, noch Kindtaufe noch Patengeld. Eine solche armselige Geschichte mag der Teufel holen.“
Ein leiser Seufzer ertönte von ihrem Platz her. Er achtete gar nicht darauf und fuhr fort:
„Gerade so ist's bei uns.“
Er mochte eine Äußerung erwartet haben, denn er horchte nach ihr hin, da er aber nichts zu hören bekam, rief er:
„Nun?“
„Was?“
„Gerade so ist
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