5 1/2 Wochen
so zurückgehalten zu haben. Fakt ist, dass wir nun eine überaus angenehme und anregende Unterhaltung mit allseitigem Interesse aneinander führen. Sie heißen Thomas und Gabi und sind mit die liebenswürdigsten Menschen, die ich auf diesem Weg kennengelernt habe.
Obwohl Thomas und Gabi mich inständig bitten, es ihnen nachzumachen und bei dem Wetter hier im Ort zu übernachten, setze ich meinen Dickschädel ein weiteres Mal durch und mache mich auf den Weg in die Berge. Die Warnung, dass es sehr neblig sein wird und der Camino ab jetzt auch gefährlich werden kann, will ich nicht an mich herankommen lassen. Ich bin durch die Pyrenäen gelaufen, da werde ich das hier wohl auch noch schaffen.
Die nächsten 5,6 Kilometer beinhalten 300 Höhenmeter. Da ist Kraxeln angesagt. Viele tausend Minischritte, damit es überhaupt weitergeht. Auf Fahr- und Fußwegen geht es gnadenlos im Nebel durch Matsch und Schlamm den Berg hinauf. Die Landstraße, an der es sich so schön laufen ließ, kreuze ich ab und zu. Jedes Mal überlege ich, ob es wohl besser wäre, ihr zu folgen, aber mein Reiseführer zeigt mir an, dass das ein großer Umweg wäre. Schnurzel ist wider Erwarten erstaunlich fröhlich im Regen unterwegs. Vor der Bekanntschaft mit dem Regencape hätte er sich schon lange eine Unterstellmöglichkeit gesucht.
Endlich in Foncebadón angekommen, bin ich fix und fertig und beschließe, hier zu übernachten. Es gießt nun wieder in Strömen und der Sturm ist mindestens so stark wie gestern. Aber auf 1439 Metern ist es dazu auch noch bitterkalt. Ich muss schnellstens über den Berg, so warme Klamotten habe ich gar nicht dabei. Wenn es morgen nicht besser ist, muss ich alles anziehen, was mein Rucksack so hergibt.
Es ist fast ein Wunder, dass ich in diesem 50-Seelen-Örtchen überhaupt jemanden treffe. Aber zwei Pilgerinnen, die aus der Kirche kommen, geben mir den Tipp, mich da mal vorzustellen. Die Kirche hat eine Herberge in einem Seitenflügel. Ich klettere also die Treppe zum Nebeneingang hinauf und öffne die Tür. Nun stehe ich in einem winzigen, dafür umso höheren Raum. Ein Ofen wurde angefeuert. Dieses Feuer verbreitet eine unglaublich wohlige Wärme. Mein Blick fällt in eine Kammer, in der Etagenbetten stehen. Zwei Pilgerinnen bauen sich vor mir auf und verlangen per Handzeichen von mir, meinen Hund draußen zu lassen. Ich reagiere auf diese ungeheure Forderung, indem ich Ruddi’s Taschenbett hervorzaubere, ihn hineinsetze und den Reißverschluss zuziehe. Sie lassen mich jetzt zwar Platz nehmen, sehen aber immer noch nicht begeistert aus. Sie machen mir unmissverständlich klar, dass Hunde auf keinen Fall in eine Kirche gehören und jagen mir Angst vor dem Herbergsvater ein, der jeden Moment kommen soll und absolut keine Hunde duldet.
Sie machen sich auf dem Ofen ein paar Scheiben Weißbrot heiß und ich giere danach. Das geröstete Brot verströmt einen köstlichen Duft. Mir fällt auf, dass ich heute außer den Fritten noch gar nichts zu mir genommen habe und dem Hungertod plötzlich sehr nahe bin. Ich freu mich schon darauf, eine dieser Scheiben zu essen.
Und dann geschieht etwas für mich Unfassbares: Die beiden Frauen denken gar nicht daran, mir eine Scheibe abzugeben. Sie sitzen direkt vor mir, sehen mich aber nicht mehr und unterhalten sich mit vollem Mund aufgeregt in einer Sprache, die ich nicht kenne. Ich mache einen langen Hals und gebe ein paar Geräusche von mir, vielleicht haben sie mich ja auch nur vergessen. Genervt sehen sie mich kurz an und sagen mir damit, dass sie ihre Ruhe haben wollen. Ich bin geschockt. Und das in einer Kirche!
Damit nicht genug: Der von mir heiß ersehnte Hospitalero ist nur gesprächsbereit, wenn die Hundetasche draußen steht. Die Damen haben ihn natürlich sofort darauf hingewiesen, dass sich in der unscheinbaren Tasche ein Hund befindet. Wie sind die denn hier drauf? Was ist mit der Nächstenliebe? Klar, die ist angeblich vorhanden. Für mich ja, aber unter keinen Umständen für meinen Hund. Die von mir erwähnten Außentemperaturen, die Ruddi nicht überleben würde in der Nacht, beeindrucken den Mann nicht. Ein Blick in die Hundetasche ebenfalls nicht. Er geht mit mir raus in den strömenden Regen und peitschenden Sturm und zeigt mir hinter einem Gitter, am Fuße einer Statue ein „geschütztes Plätzchen“ wo mein Kleiner übernachten könnte. Der muss doch jetzt endlich anfangen zu lachen, mich in den Arm nehmen und mir sagen, dass das nur ein Scherz war
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