5 1/2 Wochen
seinem Hundeblick und bekommt den ein oder anderen wohlverdienten Leckerbissen gereicht. Wie heute Mittag in Espinal ist er auch hier willkommen.
Nachdem wir zwei, drei Bierchen getrunken haben merken wir wieder, wie müde wir eigentlich sind. „Jetzt nichts wie raus hier und ab in die Koje“, lautet das Kommando. Hermann zahlt die Rechnung, ich war ja eingeladen. Dann kommt der Moment, in dem ich mich beschwingt vom Stuhl erheben will. Erst mal geht das gar nicht und dann auch nur ganz langsam und sehr auffällig. Ich bewege mich, wie ein ungeölter Roboter. Die schmerzvollen Töne, die ich dabei von mir gebe, sind nicht zu überhören. Zu meiner Belustigung sehe ich, dass Hermann auch nicht gerade hocherhobenen Hauptes das Restaurant verlassen kann. Wir ernten bedauernde Blicke von den anderen Gästen. Ruddi ist topfit und immer einen Schritt voraus. Sein Blick zurück in unsere Richtung sagt so etwas wie: „Was denn? Kommt ihr jetzt oder nicht?“
Als wir draußen sind, trauen wir unseren Augen kaum. Es gießt, wie aus Eimern geschüttet. Wie sollen wir denn jetzt nach Hause kommen? Wenn die Klamotten noch nasser werden, haben wir morgen nichts anzuziehen. So groß ist die Auswahl nicht, wenn man aus dem Rucksack lebt. Mit finsteren Mienen gucken wir uns ratlos an.
In diesem Moment kommt ein Mann aus dem Restaurant. Er zögert einen Moment, bevor er den ersten Schritt durch die Wassermassen zu seinem Auto wagt. Ich fackel nicht lange und spreche ihn wild entschlossen mit Ruddi auf dem Arm an: „Perdón, señor. Fahren Sie en este dirección (in diese Richtung)?“ Ich zeige in Richtung Ortskern. „Würden Sie uns en el coche (im Auto) mitnehmen. Nosotros son peregrinos (wir sind Pilger). No podemos más (wir können nicht mehr).“ Ich erkläre ihm mit Händen und Füßen, wo unsere Pension ist und er lässt uns ohne viel Umschweife in sein Auto einsteigen. Ich glaube, dass dieser nette Señor uns eben beobachtet hat, als wir uns fast weinend vor Schmerzen durch das Lokal bewegt haben. Bevor Hermann checkt was hier los ist, bin ich diesmal die, die jemand anderen in ein fremdes Auto schubst. Ruddi sitzt hinten bei ihm auf dem Schoß. Auch dieser freundliche Spanier mag meinen Hund und ist erstaunt, dass der mit pilgert. Er ist nur für uns in die für ihn entgegengesetzte Richtung gefahren.
Wir verabschieden uns unendlich dankbar von unserem Wohltäter. Hermann will ihm für die Fahrt ein paar Euro geben. Der Fahrer wehrt entschieden ab und braust winkend los. Ich bin begeistert, wie unkompliziert und hilfsbereit die Spanier sind.
Kaum im Zimmer liegt jeder in seinem Bett und Ruddi auf seiner Decke, die auf der Heizung trocken geworden ist. Es dauert eine oder zwei Minuten, bis ich Hermann tief atmen höre. Er schläft bestimmt schon. Noch nie im Leben habe ich ein Bett so sehr zu schätzen gewusst. Der Körper ist nach fast zwölf Stunden Bergwandern endlich entlastet und in der Waagerechten. Ich weiß nur noch nicht so recht, wie ich mich hinlegen soll, ohne dass die Füße - ach, was sage ich - die Beine und überhaupt alle beweglichen Teile meines Körpers höllisch wehtun. Das Muskelschmerz-Gel kommt wieder zum Einsatz, und ich glaube fest daran: Es kann nur besser werden. Ich schlafe relativ schnell ein, werde aber bei jeder Bewegung wach, weil sie wehtut. Hermann geht es auch nicht viel besser, jedenfalls höre ich ihn ab und zu stöhnen - jedes Mal wenn er sich umdreht.
Ich weiß jetzt, dass eine 27-Kilometer-Etappe in den Bergen für jemanden wie mich die Hölle ist. Hoffentlich komme ich morgen ohne fremde Hilfe aus dem Bett.
Freitag, 18.Aprii 2008
Zubiri (402 Einwohner), 528 m üdM, Navarreser Pyrenäen
4. Etappe bis Villava, 16,2 km
Als ich wach werde spüre ich jeden, aber auch wirklich jeden Muskel in meinem Körper. Ob ich ohne Muskelschmerz-Gel überhaupt bewegungsfähig wäre? Vorwurfsvoll werfe ich einen Blick auf meine Füße und Beine. Ich glaub, ich seh rot! Ja, in der Tat! So ist es! Vom Knöchel bis zur Wade sind beide Beine voller kleiner, roter Pusteln. Kaum habe ich sie entdeckt, wagen sie es sich auch noch, wie verrückt zu jucken. Als ob ich nicht schon genug gestraft wäre! Ich kann das Gel wohl nicht vertragen. Na gut, dann muss es eben „nur“ durch festen Glauben und einer kurzen Reiki-Behandlung besser werden. Ich beschließe, das Teufelszeug aus der Tube gleich hier liegen zu lassen. Und für was ist das jetzt gut? Mein Rucksack ist entlastet! Jedes Gramm
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