5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
einer anmaßenden Perfektion erledigt hatte, blieb mir keine andere Wahl, als sie einzustellen. »Kelly lässt sich nicht von einem menschlichen Dieb verletzen, oder gar überraschen. Außerdem hätte sie ihre Deckung vollkommen vernachlässigen müssen, um am Arm verwundet zu werden.«
Liza nickte eifrig. »Genau dasselbe hat Cassriel auch gesagt.«
»Cassriels Meinung interessiert mich nicht«, knurrte ich.
Das Treiben im dritten Stock war nicht vergleichbar mit der Totenstille auf meiner Etage. Der Fahrstuhl hielt im Zentrum einer riesigen Halle. Zwar versprühte die Wandverkleidung und der schicke Holzboden ein antikes Flair und die Kronleuchter sorgten für eine Beleuchtung wie in alten Jane-Austen-Verfilmungen, doch musste man nur wissen, wo sie waren, und man sah plötzlich überall Überwachungskameras und Hightech-Anlagen.
Auf den Sofas und um die Holztische herum tummelten sich etliche Fänger in den typischen schwarzen Arbeitsuniformen, die mit den Heldentaten dieser Nacht prahlten. Viele rauchten und genehmigten sich das eine oder andere Glas Rotwein. Einige verstauten ihre Waffen in den Glasvitrinen, die im ganzen Saal verteilt standen, andere überreichten sie ihren Kollegen von der zweiten Schicht, welche sich zum Ausrücken bereit machten, oder gestikulierten wild damit herum. Zwar waren die Fänger mit Waffen behangen, allerdings trieben wir die Seelen keinesfalls ein, indem wir unsere Fälle einfach töteten. Wir waren schließlich keine Mörder. Die Seelen, wie auch die Fantasie und die Träume, fingen wir in Amuletten, den Fängerrosen , ein. Die Amulette, welche Seelen enthielten, wurden an die gefallenen Engel übergeben (die endgültige Übergabe der Seelen an »Oben« oder »Unten« übernahmen sie, da wir diesen unschönen Posten an sie abgetreten hatten, als sie kamen und uns anbettelten, etwas tun zu dürfen, um sich mit Gott gut zu stellen). Wohingegen die anderen Amulette, gefüllt mit den Fantasien und Träumen der Jugendlichen, in die Wasserbecken auf der anderen Seite der Halle gegeben wurden, von wo aus wir sie wieder abfüllten und den Babys zukommen ließen.
Wenn ich die Fänger beobachtete, wie sie mit ihren Erzählungen prahlten oder ihre Amulette in die Wassertanks gleiten ließen, begann ich fast, meine Zeit als aktive Fängerin zu vermissen. Fast.
Es dauerte eine Weile, bis ich Kelly im Blick hatte. Sie saß abseits in einer kleinen Nische und trank Whisky, während eine Angestellte vom Krankenflügel ihren Arm verband. Neben ihr saßen zwei weitere Fänger, die nichtssagenden Zwillinge Martin und Josh. Gegenüber ging Cassriel auf und ab. Der Gefallene schien sich angeregt mit den Fängern, vor allem mit Kelly, zu unterhalten. Ich hörte bedauerlicherweise aufgrund der hohen Dezibelzahl im Saal nicht, was er sagte, und er verstummte sofort, als ich in Hörweite kam, und drehte sich langsam um. Verflucht sei dieses perfekte Engelsgehör.
»Miss Darcy«, raunte er mit spanischem Akzent, den er sich zweifellos antrainiert hatte. Abgesehen von dem fremdartigen, himmlischen Glockenton, der die Stimme jedes Engels untermalte und unwiderstehlich machte, hatten sie keine Akzente. Sofort hörte er auf, um den Tisch zu tigern, und wartete auf meinen Wink, sich rühren zu dürfen, was ich ihm nach gebührender Zeit auch erlaubte. Von allen Gefallenen, welche mit uns paktierten, war er mir am unsympathischsten, auch wenn er mir niemals Grund zur Aufregung lieferte.
Wie alle seiner Art sah Cass absolut perfekt aus und war eine Verführung auf zwei Beinen. Er hatte wachsame dunkle Augen, hohe Wangenknochen und einen dunklen Teint. Zudem machten seine schwarzen Flügel ihn zu einem perfekten Spion, und er hatte diese Tätigkeit für uns diverse Male mit zufriedenstellendem Ergebnis ausgeführt. Vielleicht traute ich ihm deshalb nicht.
Kein gefallener Engel paktierte häufiger als nötig mit uns. Sich freiwillig in unsere Dienste zu stellen, war undenkbar für sie. Wir waren ein Mittel zum Zweck, um wieder im Himmel aufgenommen zu werden, nicht mehr. Cass schien das mit seiner schmeichlerischen Art anders zu sehen. Er hatte verstanden, dass er nie zurückkommen würde, und versuchte nun das Beste für sich selbst herauszuschlagen.
»Cassriel«, antwortete ich schlicht und ging an ihm vorbei auf Kelly und die Zwillinge zu. »Wenn ihr uns entschuldigen würdet«, sagte ich mit meiner geschäftsmäßigsten Stimme, die keine Widerworte duldete. Sofort erhoben sich die Zwillinge, senkten
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