5 Tage im Sommer
haut endlich ab ; Kommt wieder , aber bleibt nicht zu lange . Geary gefiel das nicht; er war auch immer noch ein Neuling und schlug sich auf die Seite der Leute, die das ganze Jahr gespart hatten, um sich die absurden Sommerpreise auf dem Cape leisten zu können. Der Artikel unter dem Bild stammte von einem gewissen Eric Smith, der keinen Hehl daraus machte, wie froh er war, dass die »Heuschrecken« abgereist waren und viel Geld dagelassen hatten.
In Geary stieg beim Lesen Zorn auf. Er hatte den Preis für sein kleines Häuschen auch ein wenig übertrieben gefunden, aber er war nicht auf den Gedanken gekommen, dass die Einheimischen ihn hinter seinem Rücken auslachen könnten.
»Ah, das jährliche Freudenfest.« Bells tiefe Stimme ertönte hinter Geary. »Es gibt nichts Schöneres für die Einheimischen als die Abreise der Sommergäste.«
Geary blickte auf. »Bloß komisch, dass auch ich mir wie ein Sommergast vorkomme. Dabei wohne ich doch hier.«
»Du bist Strandgut , John. Eine Stufe höher.«
»Ich fühl mich nicht gerade willkommen.«
»Du wirst auch hier Freunde finden«, sagte Bell, »genauso viele wie anderswo.«
Bell quetschte sich in die Nische. Er war fast eins neunzig groß, hatte lange dünne Beine, einen Schmerbauch und den rötlichen Teint eines Mannes, der sein Leben lang keine Sonnencreme verwendet hat. Sein Haar war weiß und kurz geschnitten, bedeckte jedoch nur einen kleinen Teil seines roten Schädels. Dafür waren sein Bart und seine Augenbrauen umso prägender. Allerdings sah man nur die eine, die andere war mit dem blinden Auge unter einer Augenklappe verborgen. Lila, passend zu seinem Hemd. Geary schüttelte staunend den Kopf und musste beim Anblick seines Freundes wieder einmal lachen. Er war immer aufs Neue verblüfft über Bells verwegene Augenklappen, die dieser sich passend zu seinen diversen Kleidungsstücken anfertigen ließ.
Gearys Thunfisch wurde serviert. Er faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in den Serviettenhalter. Ohne auf die Speisekarte zu schauen, bestellte Bell Caesar-Salat mit Hähnchenbrust.
»Warum?«, fragte Geary, den Mund voll Thunfisch, »bist du eigentlich nicht am College?«
»Wir fangen erst am Tag nach dem Labor Day an.« Bells Stimme dröhnte durchs Lokal, und wie gewöhnlich drehten sich die Leute um, weil sie sehen wollten, wer sprach.
»Also heute.«
»Genau.«
»Und du sitzt trotzdem hier herum. Nicht, dass ich darüber nicht froh wäre …«
»Meine erste Unterrichtsstunde ist am Montag, die Immatrikulation können die auch ohne mich regeln. Ich bin auf Lebenszeit eingestellt. Das ist der Vorteil davon, an der Uni zu sein und nicht in Regierungsdiensten zu stehen.«
»Wir schuften also wie blöd, während du machen kannst, was du willst, und dein Gehalt kassierst.«
»Plus Vergütungen.«
»Nicht zu vergessen die freien Sommermonate.«
»Ein großer Verstand braucht Freiräume.« Bell lehnte sich an die türkis funkelnde Rückwand seines Sitzes. »Außerdem hast du ganz gut von meiner Sachkenntnis profitiert – wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht.«
Geary seufzte. Jedes Mal, wenn sie sich begegneten, fing Bell mit dieser alten Sache an und rieb ihm unter die Nase, was er ihm alles verdankte. Es hatte als Scherz begonnen, als persönliches Augenzwinkern, aber Bell hatte all die Jahre nicht locker gelassen. Geary war es allmählich ein wenig leid, aber er spielte dennoch mit. Ohne das professionelle Gutachten des brillanten Roger Bell wäre John Geary wegen sexueller Belästigung unehrenhaft aus den Diensten des FBI entlassen worden .
Schlimmer noch, Ruth hätte erfahren, dass er sie belogen hatte.
»Ohne dich …« Geary schüttelte den Kopf.
»Ich hab einen Entschluss gefasst, John. Im Frühling lass ich mich in den vorzeitigen Ruhestand versetzen. Ich werde mein Haus winterfest machen, dir Gesellschaft leisten und dir bei deinem Buch helfen. Natürlich mit voller Namensnennung.«
»Und einer kräftigen Scheibe vom Vorschuss?« Geary lachte. Darum hatte sein alter Freund so sehr darauf gedrungen, dass er ein Buch schrieb, obwohl er wusste, dass ihm das Schreiben schwer fiel. Seit seiner Dissertation hatte er nur noch Täterprofile erstellt, und die waren im FBI-Jargon abgefasst und sollten keine Stilübungen sein, sondern das Bild eines Mörders entwerfen. Geary ahnte, wie Bell sich die Zusammenarbeit vorstellte: Er würde die gesamte Recherche machen und sich durch die erste Fassung hindurchquälen, und dann würde
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