5 Tage im Sommer
diese Tatsache registrierte. Caro wurde bei Will im Zimmer einquartiert, und er war glücklich, sie wieder in seiner Nähe zu haben. Er machte sich in seinem grünen Sommerpyjama bettfertig und fand sie auf dem Rand des von ihrem Cousin geborgten Betts vor. Sie hatte auf ihn gewartet. Will zog seine Bettdecke zurück, setzte sich mit überkreuzten Beinen auf sein kariertes Laken, sah hinüber zu seiner großen Schwester und lächelte. Caro nickte und erzählte ihm dann etwas, was er nie erfahren hatte.
»Sie waren nicht sofort tot, Willie.« Sie hatte braune Augen, ein klares Braun, das ihn an etwas erinnerte.
»Aber Judy und Steve haben doch gesagt …«
»Ich weiß, dass sie dir das gesagt haben.«
Will zuckte die Achseln. Er hatte das Gefühl, in Caros Augen noch ein Kleinkind zu sein, und wusste nicht genau, ob er wirklich wissen wollte, was sie ihm zu erzählen hatte. Sein Leben war bisher nicht schlecht gelaufen, ihres jedoch schon, und vielleicht wäre es besser für ihn, wenn er nicht alles wusste.
»Sie wollten es dir nicht erzählen«, fuhr Caro fort. »Aber du warst doch dabei, also weißt du es doch im Grunde selbst.«
Sie hatte diese vertrauten Augen, und als sie den Blick abwandte und zum Fenster hinausschaute, überkam Will ein Anflug von Panik.
»Was?«, fragte er seine Schwester.
»Mrs. Simon brachte uns am nächsten Tag ins Krankenhaus, um Mom zu besuchen«, sagte Caro leise. »Weißt du das nicht mehr? Daddy war an dem Morgen im Krankenhaus gestorben.«
Will schüttelte den Kopf; er konnte sich nicht erinnern.
»Ich bin zuerst hineingegangen. Du hast mit der Krankenschwester auf dem Flur gewartet. Dann brachte Mrs. Simon mich hinaus, und du durftest.«
Caro wartete. Doch Will konnte sich nur an die so oft wiederholte Information, dass seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren, erinnern. Sie hatten Caroline für ein Sommerlager anmelden und danach zu Mittag essen wollen. Alles war so schnell gegangen, dass sie nichts gefühlt und nichts gedacht haben konnten. »Es war, als hätte man ein Licht gelöscht«, hatte Tante Judy ihm gesagt und ihm über die Wange gestrichen. »Sie haben keine Schmerzen gespürt.« Das hatte ihn stets beruhigt.
»Was hat Mom zu dir gesagt?«, fragte Caro ihren Bruder. Ihre dünnen Beine baumelten über der Kante des anderen Betts, und ihr Blick ruhte wieder auf ihm.
»Nichts«, sagte Will. »Ich war nicht bei ihr.«
Caro presste die Lippen zusammen, und er fürchtete, dass sie seinetwegen verärgert war. Ihre Augen wurden schmal. »Sie hat mir gesagt, dass es meine Aufgabe sein würde, mich um dich zu kümmern, weil du ja noch ein Baby warst.«
»Ich war vier.«
»Fast vier. Sie starb am Tag vor deinem Geburtstag. Hast du das auch vergessen?«
Nein, daran erinnerte sich Will, hatte aber immer angenommen, sein Zeitgefühl wäre falsch. Es hatte eine Schokoladentorte vom Konditor gegeben, mit einem Cowboy, der über seinem Hut ein Lasso schwang. Sein Geschenk war ein kleines rotes Fahrrad mit Stützrädern gewesen, an dessen Lenkrad nicht nur ein Windschutz aus Plastik angebracht gewesen war, sondern auch ein Halfter für seine Spielzeugpistole. Alle waren erschienen, so viele Familienmitglieder waren noch nie zu einer Geburtsparty gekommen. Keine Freunde. Seine Großmutter hatte geweint, als sie ihn mitten im Wohnzimmer auf sein neues Fahrrad gesetzt hatte. Die Verwandten hatten ihn still umringt. Er hatte nicht verstehen können, warum seine Großmutter weinte. Es war wirklich ein schönes Fahrrad gewesen, und er hatte es sich so sehr gewünscht. Genau das Fahrrad, das er seiner Mutter im Geschäft gezeigt hatte.
»Hat Mom dir gesagt, dass sie dich lieb hat?«, fragte Will seine Schwester.
Caro nickte.
»Sie starb im Auto«, sagte Will, »an Ort und Stelle, genau wie Daddy. Sie hat nichts gefühlt, es war, als hätte man ein Licht ausgeknipst.«
Caro schüttelte den Kopf, legte sich immer noch angezogen aufs Bett und starrte an die Decke, bis Will sich hinüberbeugte und die Lampe ausschaltete. Keinen Monat später kam man überein, dass Caro nach Upstate New York zurückkehren, sich einen Job suchen und bei ihren Großeltern wohnen würde, bis sie im Winter achtzehn wurde. Dann wäre sie volljährig und konnte tun, was sie wollte. Über den Tod ihrer Eltern redeten sie nie wieder.
Will trat schnell und fest in die Pedale. Schweiß tropfte ihm von der Stirn auf die Handrücken, aber er fuhr unbeirrt weiter, bis er das Haus
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