52 - Aufruhr auf Kregen
sobald ich die nötige Zeit hätte. Er könne später am Tag aufbrechen. Er nickte, salutierte ernst und ging – natürlich zu Bett, wohin sonst. Manche Leute wissen einfach nicht, welches Glück sie haben.
Sie hatten schweigend Wein getrunken, einen roten Abendwein aus einem guten Jahrgang, und ich goß mir selbst ein Glas voll ein. Als ich die Glocke läutete, trat die kleine Fristle-Fifi Selena keck ein. Ich bat um etwas zu essen, und sie nickte mit dem hübschen kleinen Kopf und ging – wie immer mit einem schneidigen Schwung ihres mit einer rosafarbenen Schleife geschmückten Schwanzes. Diese wunderschönen Fristle-Fifis, sie bekommen immer, was sie wollen!
»Und, wie lauten eure interessanten Nachrichten?«
Sie sahen einander an. Ich kannte den Charakter von beiden. Ich wußte, daß Naghan zurückhaltend sein würde. Ich wußte, daß Tobi, wie es seine ungestüme Natur verlangte, die Gelegenheit beim Schopf ergreifen würde. Ich hatte recht. Tobi meldete sich als erster zu Wort.
»Nun, Jis. Es hat den Anschein, als hätten wir es mit einer Verschwörung zu tun.« Er brachte die Affäre Tralgan Vorner zur Sprache. »Die Unterlagen seines Gerichtsverfahrens sind verschwunden.« Nachdem er das gesagt hatte, legte er einen Finger an die Nase; seine grobschlächtigen Züge röteten sich. »Das heißt, falls überhaupt jemals ein richtiges Verfahren stattgefunden hat.«
»Nun«, meinte ich, »er wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Es müßte irgendwelche Unterlagen geben.« Ich trank einen Schluck Wein. »Falls ein Verfahren stattgefunden hat.«
»Vermutlich nicht«, sagte Naghan. »Das paßt zu dem, was ich herausgefunden habe. Außerdem, falls das Phantom der Geist von Tralgan Vorner ist, erklärt das auch, warum die Advokaten und Styloren von Nath dem Clis in Stücke gerissen wurden.«
»Wir fügen die Lösung dieses Rätsels Stück für Stück zusammen«, erklärte Tobi eifrig.
»Während das Phantom mit seinen Opfern genau das Gegenteil macht«, erwiderte ich trocken.
Sie verdauten meine Bemerkung und nickten; keiner lachte.
Naghan berichtete, die Bürger Gafardens wüßten, daß das Phantom zerstört worden und wieder aufgetaucht sei. Jetzt war das neue Ungeheuer angeblich tot. Die Menschen glaubten, es werde wieder erscheinen. »Darum leeren sich die Straßen noch immer so früh.«
Selena brachte das Essen, und wir aßen in kameradschaftlicher Runde. Wir mußten das Geheimnis lösen, das diesen Vorner umgab. Ich erinnerte mich, wie der Erste Pallan gezögert hatte, den Herrscher wegen meiner Mordanklage zu behelligen. Tralgan Vorner war der rechtmäßige Elten von Culvensax gewesen und hätte sich ganz bestimmt mit der Bitte um Berufung an den Ersten Pallan sowie an Prinzessin Didi und den Herrscher gewandt. Das sagte einem schon der gesunde Menschenverstand. Hatte er es getan?
Die Tür öffnete sich, und Selena trat erneut mit einer Terrakottaschüssel ein, die mit einem gelben Tuch abgedeckt war. Sie verneigte sich und machte dann mit ihrer Arbeit weiter. Sie hatte Nachtschicht und würde ihren Pflichten nachkommen, selbst wenn dort, wo sie aufräumen – oder wie in diesem Fall die Flick-flick-Pflanze auf der Fensterbank füttern mußte –, hochrangige Besprechungen abgehalten wurden.
Die Flick-flick-Pflanze spürte, was sich in der Schüssel befand. Die zwei Meter langen Tentakel entfalteten sich; die orangefarbenen Kegel öffneten sich. Selena stellte die Schüssel ab, nahm das Tuch weg und trat schnell zurück.
Hellgrüne Tentakel zuckten vor. Ein klebriger Wulst nach dem anderen senkte sich in die Schüssel. Beim Zurückziehen klebte an jedem eine glitzernde fette Schmeißfliege. Die Fliegen wurden in den Rachen der orangefarbenen Kegel gestopft. Obwohl sich das alles völlig lautlos abspielte, hätte man schwören können, zufriedene Kaugeräusche wie bei einer üppigen Mahlzeit zu hören.
Die Bürger Gafardens hielten ihre neue Stadt sauber, so wie Prinzessin Didi es befohlen hatte. Im Palast gab es daher nur wenige Fliegen, so daß die Flick-flick-Pflanzen mit eigens gezüchteten Fliegen gefüttert werden mußten, damit sie nicht verhungerten.
Als Selena die Tür hinter sich schloß, gähnte ich. Ich bedeckte diese grobe Vernachlässigung der Pflicht und sagte: »Sieht so aus, als müßte ich mit Ulana Farlan sprechen. Sie war schließlich die Nazabni von Urn Vennar, als Tralgan Vorner hingerichtet wurde.«
Naghan nickte. »Also müßte sie wissen, ob Berufung eingelegt
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