52 Verführungen: Ein Paar holt sich die Lust zurück - (German Edition)
dermaßen, dass sie jedes Mal einen Angriff auf Herberts Knöchel startet, wenn er versucht, das Zimmer zu durchqueren.
Die meisten Tage verbringen wir damit, die Stadt auf Spaziergängen Barrio für Barrio zu erkunden. Gelegentlich kehren wir auf einen Kaffee oder ein Glas Wein irgendwo ein. Herbert liebt alte Vinylplatten, und ich verbringe die meisten
Nachmittage lesend in irgendwelchen Bars, um nicht zwischen Plattenregalen hinter ihm her zu tapern. Inzwischen ist Herbert in dieser Hinsicht aber schon etwas rücksichtsvoller geworden. Zum einen liegt das wohl daran, dass er heute im Internet fast alles finden kann, was er sucht. Aber es gab auch diesen Wendepunkt vor ein paar Jahren in Athen. Dort verbrachte er drei Stunden in einem einzigen Laden, während ich draußen die Straßen auf und ab ging. Seither hat er ein wenig Selbstbeschränkung gelernt.
Urlaub ist immer meine Zeit zum Nachdenken. Und so komme ich selten nach Hause zurück, ohne mir kleinere oder größere Veränderungen vorgenommen zu haben. In Barcelona beginne ich, mich nach einem Leben in der Großstadt zu sehnen, einfach weil es einem so vielfältige Möglichkeiten bietet. Herbert und ich haben bislang immer in Kleinstädten gewohnt und uns eingeredet, dass uns das genügt. Jetzt fange ich an mich zu fragen, ob wir das richtig eingeschätzt haben oder uns nur einfach mit einem Leben abgefunden haben, wie es schon unsere Eltern geführt haben.
Wir essen gerade im Raval zu Mittag, als ich zu Herbert sage: »Was, wenn wir hier leben würden? Wie wäre unser Leben dann wohl?«
Wir sind noch relativ jung, finanziell unabhängig und kinderlos. Also sehe ich keinen Grund, warum wir nicht irgendwo anders leben könnten, wenn wir beide Lust dazu hätten. Solche Gedankenspiele machen Herbert nervös. Hinter jedem »Was wäre, wenn …« fürchtet er eine drohende Veränderung. Er glaubt – und damit hat er auf lange Sicht vermutlich
auch Recht –, dass der Weg zum Glück darin besteht, sich für ein Leben zu entscheiden und dabei zu bleiben, also keine Zeit damit zu vergeuden, all den anderen Möglichkeiten hinterherzujagen. Mich dagegen bringen überhaupt nur diese Möglichkeiten dazu, jeden Morgen aufzustehen.
Das Gespräch wird heftiger und steuert auf das gefährliche Terrain zu, auf das eingespielte Paare gerne geraten: den Streit über die Art zu streiten.
»Warum machst du das immer?«, sage ich. »Warum kannst du mir nicht einfach meinen Spaß daran lassen, mir Dinge vorzustellen? Nur weil du Veränderung hasst.«
Herbert rollt mit den Augen. »Fang nicht wieder damit an.«
»Ich fange mit gar nichts an! Ich möchte nur in der Lage sein, eine Unterhaltung über meine Träume zu führen. Ich möchte mich nicht damit zufriedengeben, dass es für uns nur eine Möglichkeit zu leben gibt.«
»Du tust immer so, als sei ich total unflexibel. Das stimmt nicht. Ich bin nicht so langweilig, wie du mir vorwirfst.«
»Ich habe nie gesagt, dass du langweilig bist!«
»Ich glaube, du benutzt mich als Ausrede. Ich glaube, du wirfst mir gerne vor, dass ich all diese Dinge nicht machen will, weil du sie selbst in Wahrheit gar nicht tun willst.«
»Nein«, sage ich und nehme mich im Ton etwas zurück, in der Hoffnung, es könnte sich für jemanden, der kein Englisch versteht, noch nach einer angeregten Diskussion und nicht nach Streit anhören. »Ich glaube, es ist eher so, dass du nicht darauf vertraust, dass ich dich auch unter anderen Lebensumständen noch lieben würde.«
Diese Wahrheit ist so unverfroren und simpel, dass es mir kurz den Atem verschlägt. Sie laut ausgesprochen zu hören, scheint uns jedoch beide zu beruhigen. Dieser schwarze Hund verfolgt uns schon seit Jahren. Jetzt habe ich ihn losgelassen, an die frische Luft, und er starrt uns beide wie benommen an.
Angst ist die dunkle Seite der Liebe. Erst wenn uns unsere Geliebten wirklich viel wert sind, beginnen wir uns zu fragen, ob sie uns nicht eines Tages verlassen werden.
Ich erinnere mich, diese Angst zum ersten Mal in Herberts Augen gesehen zu haben, als wir schon ein Jahr zusammen waren. Ich lernte ihn während meines letzten Schuljahres kennen, und wir hatten eine kleine Affäre, als ich meine Abschlussprüfungen machte. Damals hatte ich bereits einen Studienplatz an einer guten Uni und nicht die Absicht, ihn wegen Herbert sausen zu lassen. Ehrlich gesagt nahm ich auch an, die Geschichte mit uns würde sich zerschlagen, sobald ich in einer neuen Stadt unter neuen
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