53 - Deutsche Helden, Deutsche Herzen 05 - Der Engel der Verbannten
Übrigens kann ich als Euer Ankläger auftreten. Ihr habt uns vergiften wollen.“
„Lüge!“
„Wir werden das Fleisch untersuchen lassen.“
„Und vorher Gift daran tun, nicht? Damit die Schuld auf uns komme!“
„Mensch, du bist wirklich ein ganz höllischer Bösewicht. Von dir kann selbst Satanas noch viel lernen. Aber ich will mich bei solchen psychologischen Betrachtungen nicht unnötig aufhalten. Wir haben mehr zu tun. Ich werde mich erst nach Verschiedenem erkundigen, und du wirst mir meine Fragen der Wahrheit gemäß beantworten.“
„Fällt mir nicht ein. Ihr seid nicht mein Vorgesetzter. Ich bin Euch keine Antwort schuldig. Übrigens werde ich nicht eher wieder sprechen, als bis Ihr mich losgebunden habt.“
„Das hat noch Zeit. Wie lange bist du bereits in Roulins Diensten?“
Juanito antwortete nicht, selbst dann noch nicht, als Steinbach seine Frage wiederholte.
„Nun“, sagte letzterer, „so will ich mich an die Doña wenden. Damen pflegen höflicher zu sein. Also, Señora, wie lange befindet sich dieser Mann im Geschäft Eures Herrn?“
Auch die Alte antwortete nicht.
„Ah, ihr wollt ein wenig Komödie spielen! Ich bin einverstanden. Euer Debüt wird aber kläglich genug ausfallen. Ich habe nämlich die Absicht, euch die Zungen zu lösen.“
Und zu Annita gewandt, fuhr Steinbach fort:
„Verzeiht, Señorita, wenn ich Euch einen höchst peinlichen Anblick nicht ersparen kann. Ich achte selbst in meinem Feind den Menschen, und selbst der Verbrecher ist noch das Ebenbild Gottes, das man nicht schänden soll. Diese beiden Kreaturen hier aber sind aller Menschlichkeit bar. Ich werde sie so behandeln müssen, wie ich noch nie einen Menschen behandelt habe. An dieser Peitsche klebt das Blut unschuldiger Menschen. Ich handle nur ganz gerecht, wenn ich sie als Mittel benutze, diesen Leuten den Mund zu öffnen.“
Das gab Juanito sofort die Sprache.
„Wollt Ihr uns etwa schlagen?“ fragte er.
„Jawohl, und zwar ganz gehörig.“
„Das sollt Ihr nur wagen.“
„Ich werde es wagen. Für jede Antwort, die Ihr mir schuldig bleibt, bekommt Ihr einen Hieb. Kommt her! Ihr sollt sofort sehen, daß es mir Ernst mit dem Spaß ist.“
Steinbach drehte Juanito um, so daß er auf den Bauch zu liegen kam und schnitt ihm mit dem Messer die Jacke auf, so daß der nackte Rücken zum Vorschein kam.
„So! Und jetzt frage ich: Wie lange befindet Ihr Euch in Eurer gegenwärtigen Stellung?“
Keine Antwort.
Da sauste die Peitsche nieder, und ein entsetzlicher Schrei Juanitos ließ die Stube erzittern. Von Steinbachs Riesenkraft geschwungen, hatten die Riemen sich sofort bis auf die Knochen in das Fleisch gewühlt. Der Getroffene biß sich auf die Lippen, um nicht abermals zu schreien, aber er holte pfeifend Atem. Selbst die Alte hatte mit ihm aufgebrüllt.
„Nun, Antwort!“ sagte Steinbach.
Juanito biß die Zähne zusammen, antwortete aber nicht. Anstatt dessen aber brüllte er im nächsten Augenblicke wie ein angeschossener Stier und krümmte sich wie ein Wurm am Boden, soweit dies die Fesseln zuließen. Steinbach hatte ihm den zweiten Hieb gegeben.
„Zum dritten Mal Antwort! Sonst bekommst du drei Hiebe, anstatt nur einen!“
„Es – es – es – sind – sind nur fünf Jahre“, erklang es mit vor Schmerz und Grimm bebender Stimme.
„Ihr schlagt ihn ja tot!“ rief die Alte. „Aber laßt Euch lieber erschlagen, als daß Ihr eine Antwort gebt, Señor Juanito!“
Ihre triefenden Augen leuchteten haßerfüllt zu Steinbach herüber. Dieser wandte sich sofort an sie und sagte:
„Wollen sehen, ob du deinen eigenen Rat auch selbst befolgen kannst! Verachtung dem Mann, der ein Weib schlägt. Du aber bist kein Weib, sondern eine Furie und verdienst noch weniger Schonung als dein Spießgeselle. Wollen also einmal sehen, ob auch du singen und pfeifen kannst, freilich ohne Mehlwürmer. Wie lange stehst du in deinem gegenwärtigen Dienst?“
„Haut mich tot, aber antworten werde ich nicht!“ schrie sie.
„Also wie lange?“
Noch immer schwieg die Alte. Da sauste die Peitsche nieder, und obgleich ihr Rücken nicht entblößt war wie derjenige Juanitos und auch noch durch den ihn umwindenden Lasso geschützt wurde, schnellte sie dennoch trotz ihrer Banden sogleich ellenhoch empor und schrie:
„Feurio, Feurio! Hilfio, Hilfio! O wehe, o wehe! Es sind nun über sechs Jahre, zu Weihnachten werden es sieben! Hilfio! Zetrio! Mordio!“
„So ist es recht!“ mahnte Steinbach.
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